Charta des Council for European Urbanism – C.E.U.-Deutschland (Teil 2)

Anmerkung: Die Charta des Council for European Urbanism – C.E.U. Deutschland (Teil 2) ergänzt die in Stockholm am 6. November 2003 verabschiedete und am 23. August 2004 aktualisierte europäische Charta. Die Charta (Teil 2) ist für Veränderungen offen.

I Region
II Stadt und Stadtviertel
III Plätze, Straßen und Gebäude

Vorbemerkung

Die baulich-räumliche Gestalt ist von entscheidender Bedeutung für lebenswerte und nachhaltige menschliche Siedlungen. Zwar ist die unmittelbare Lebensumwelt der Wohn-, Arbeits- und Freizeitstätten ausschlaggebend für das Wohlbefinden der dort lebenden Menschen, doch werden wesentliche Rahmenbedingungen auch in größeren räumlichen Zusammenhängen bestimmt. Erst ein eng aufeinander abgestimmtes städtebauliches Handeln politischer, administrativer, fachlicher, wirtschaftlicher und zivilgesellschaftlicher Kräfte auf regionaler, städtischer und lokaler Ebene ist in der Lage, die derzeitigen umfassenden Herausforderungen an die europäischen Stadtregionen angemessen zu bewältigen. Städtebauliches Handeln wird hier umfassend verstanden – als Gestaltung öffentlicher Räume, Einbindung von Gebäuden in ihr Umfeld, Landschafts-, Freiraum- und Gartengestaltung, als Motor gestalterischer, funktionaler, sozialer und kultureller Vielfalt, als Medium sozialer Integration und Ressourcenschonung sowie als Prozess, der all diesen Praktiken dient. Vor diesem Hintergrund vertritt der C.E.U.-Deutschland folgende Positionen:

I Region

1 Regionalentwicklung heute
Regionen sind soziale und wirtschaftliche Bezugsräume. Sie umfassen Städte, Dörfer und Landschaften mit jeweils eigenem Charakter, aber auch infrastrukturelle Großanlagen, Militär-, Gewerbe- und Industriegebiete sowie mehr oder weniger anonyme Siedlungen. Regionen sind die wichtigste räumliche Ebene des globalen Wettbewerbs sowie einer sozial und ökologisch nachhaltigen  Raumentwicklung. Regionalentwicklung soll ressourcenschonend auf eine solidarische Innenentwicklung und internationale Wettbewerbsfähigkeit hinwirken. Regionen sind Träger und Impulsgeber einer europäischen Zusammenarbeit in der Stadtbaukultur. Sie fördern grenzüberschreitende und internationale Kampagnen wie etwa „Euroregionen“ und Metropolregionen.

2 Regionale Identitäten
Regionen gewinnen ihre Identität als Siedlungsräume vor allem durch gemeinsame historische Wurzeln und Spuren bzw. soziale, kulturelle, wirtschaftliche, topographische und baulich-räumliche Zusammenhänge. Regionalentwicklung soll diese Identitäten aufgreifen und weiterentwickeln.

3 Innenentwicklung vor Außenentwicklung
Regionalentwicklung ist eine wichtige städtebauliche Aufgabe. Dabei geht Innenentwicklung vor Außenentwicklung. Durch den Umbau von Wohnsiedlungen, die Wiedernutzung brachgefallener Stadtbereiche sowie die Erschließung von Lücken und Zwischenräumen lässt sich die Zersiedlung begrenzen, ohne auf städtebauliche Qualität verzichten zu müssen. Regionen sind auf ihre ländlichen Teilgebiete innen wie außen angewiesen, zu denen sie in einer zerbrechlichen Beziehung stehen.

4 Städtebauliche Weiterentwicklung
Städtebauliche Weiterentwicklung versteht sich auch im regionalen Maßstab als Einfügung des Neuen in das Bestehende. Dazu sollten neue Siedlungen am Stadtrand gut städtebaulich integriert und mit dem Bestand vernetzt, vorhandene Zentren gestärkt, Wohnen, Arbeiten und Freizeit in enger räumlicher Nähe zueinander und öffentlich zugänglich entwickelt sowie große Gewerbegebiete städtebaulich aufgewertet werden. Beim Rückbau von Siedlungsbereichen sollten städtische Qualitäten und Zusammenhänge so weit wie möglich erhalten bleiben und Zwischennutzungen als Impulsgeber weiterer Entwicklung dienen.

5 Bewahrung der historischen Stadt- und Dorfkerne
Die vorindustriellen Stadtkerne, Dörfer und Kulturlandschaften sind eine wertvolle europäische Gegebenheit. Die Entwicklung und der Umbau von Städten und Dörfern sollten deren historisches Bild, lokale und regionale Traditionen sowie die natürlichen Gegebenheiten und Grenzen respektieren.

6 Gestaltung der Kulturlandschaft
Die Kulturlandschaft verkörpert eine vielfältige und spannungsreiche Wechselbeziehung von Umwelt, Wirtschaft und Kultur. Ihre Ausgestaltung und Profilierung ist eine wichtige Strategie bei der Umstellung der europäischen Landwirtschaft auf vermehrt landschaftspflegende, regional ausgerichtete und energiepolitisch relevante Bewirtschaftungsformen. Sie sollte auch bei der Wiedernutzung und Gestaltung von brachgefallenen Siedlungsbereichen berücksichtigt werden.

7 Nachhaltige Stadtregionen
Nachhaltige Stadtregionen sind vielfältig und nutzungsgemischt in ihren Angeboten und wirken Zersiedlung entgegen. Sie unterstützen eine regionale Kreislaufwirtschaft und regionale Arbeitsmöglichkeiten, die Menschen aller Einkommensgruppen nutzen. Erschwinglicher Wohnraum sollte in der ganzen Stadtregion verfügbar sein, in der Nähe von Arbeitsplätzen liegen und die räumliche Konzentration von Armut vermeiden. Regionale Solidarität erfordert einen Ressourcenausgleich unter den Kommunen der Region.

8 Integrierte Verkehrsentwicklung
Die baulich-räumliche Organisation der Region und die Verkehrsplanung sollten gemeinsam entwickelt werden. Ein Netzwerk aufeinander bezogener Verkehrsmittel soll die Abhängigkeit vom Auto verringern und die Erreichbarkeit mit dem öffentlichen Personennahverkehr, zu Fuß und mit dem Fahrrad fördern.

9 Regionale Kooperation
Eine sachgerechte Zusammenarbeit der Städte und Gemeinden einer Region trägt dazu bei, dass diese im verschärften Wettbewerb um Steuereinnahmen besser mit ihren Ressourcen umgehen. Die Kommunen einer Region sollten sich in ihren Funktionen und Angeboten sinnvoll ergänzen. Dabei sollten Verkehr, Erholung, öffentliche Dienstleistungen und Einrichtungen, Gewerbeansiedlungen sowie Wohnungsbau miteinander abgestimmt werden.

II Stadt und Stadtviertel

10 Stadtentwicklung heute
Die Städte sind heute mit einem tief greifenden ökonomischen und demographischen Strukturwandel konfrontiert. Sie müssen von der Industriegesellschaft Abschied nehmen und neue wirtschaftliche Grundlagen erringen, die sozialen Folgen dieser Entwicklung dämpfen und ihre wertvollen städtebaulichen Bestände erneuern.

11 Identität der Städte
Die Städte haben ihre jeweiligen gestalterischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Besonderheiten, die sorgfältig gepflegt und nachhaltig weiterentwickelt werden müssen. Städtebau, Architektur und Landschaftsgestaltung können einer Beliebigkeit, Monotonie, Disharmonie und Geschichtslosigkeit entgegenwirken, wenn sie die spezifischen Bedingungen jedes Ortes, seiner Topografie, Menschen, Geschichte, Baukultur und seines Klimas berücksichtigen. Die Städte fördern ihre Besonderheiten auch durch grenzüberschreitende und internationale Kampagnen wie etwa die „Europäische Kulturhauptstadt“.

12 Stadtbild
Der Charakter der Stadt wird wesentlich durch das Erscheinungsbild ihrer Gebäude und öffentlichen Räume geprägt. Dabei kommt den Stadtzentren eine besondere Rolle zu. Städte fördern die Pflege des Stadtbildes durch Stadtreparatur, Gestaltung öffentlicher Räume und Kampagnen etwa zum „Städtebaulichen Denkmalschutz“.

13 Stadtviertel
Städte gliedern sich von den Zentren bis zu ihren Rändern in unterschiedliche Stadtviertel. Die Unterschiede dieser Stadtviertel formen den Charakter der Gesamtstadt, ihre jeweiligen Stärken sollten betont werden. In diesem Rahmen sind die Zentren der Stadtviertel von besonderer Bedeutung. Bürger, Politik und örtliche Wirtschaft sind für die Erhaltung und Weiterentwicklung der Stadtviertel verantwortlich.

14 Einbindung in den städtischen Zusammenhang
Stadtviertel verkörpern ein Zusammenspiel von Nachbarschaften und darauf bezogener, gut gestalteter öffentlicher Räume. Stadtviertel sollen kompakt gebaut, gemischt genutzt und fußgängerfreundlich sein. Es gilt, einem räumlichen und sozialen Zerfall der Städte und ihrer Stadtviertel entgegenzuwirken. Stadtbereiche, in denen eine bestimmte Nutzung vorherrscht, z. B. Gewerbegebiete, großflächige Infrastrukturanlagen oder große Freiflächen sowie Zwischennutzungen, sollten in die Zusammenhänge und Strukturen der angrenzenden Stadtviertel einbezogen werden.

15 Lebendige Vielfalt
Vielfalt ist in den Stadtvierteln zu erhalten und zu entwickeln. Dies dient zugleich der Stärkung sozialer und bürgerschaftlicher Bindungen. Das Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Altersgruppen, Einkommen und ethnischer Herkunft wird durch ein Angebot unterschiedlicher Arbeitsmöglichkeiten, Haustypen, Wohnformen, Wohnungsangebote sowie sozialer und kultureller Einrichtungen unterstützt.

16 Stadt der kurzen Wege
Im städtischen Alltag kann desto mehr auf das Auto verzichtet werden, je eher sich die Zielorte fußläufig erreichbar in den Stadtvierteln und nicht an abgelegenen, monofunktionalen Orten befinden. Nicht allein Schulen und Nachbarschaftseinrichtungen, auch Arbeits- und andere Zielorte sollten zu Fuß bzw. mit dem Fahrrad schnell und sicher erreichbar sein. Entsprechend ausgestattete Straßen- und Wegenetze verringern die Anlässe zur Autobenutzung und fördern eine vom Auto unabhängige Mobilität in der Stadt.

17 Stadtverträglicher Autoverkehr
Neben attraktiven Angeboten des öffentlichen Verkehrs und für den nichtmotorisierten Verkehr ist der individuelle Autoverkehr angemessen zu berücksichtigen. Eine stadtverträgliche Ausrichtung des individuellen Autoverkehrs dient der Bewahrung und Weiterentwicklung urbaner Qualitäten der Hauptstraßen und der Aufenthaltsqualität öffentlicher Räume.

18 Grünräume in der Stadt
Eine der Qualitäten europäischer Städte basiert auf der Symbiose zwischen kompakt bebauten Stadtvierteln und grünen Räumen, vom kleinen Park bis hin zur offenen Landschaft. Die Gliederung und Verbindung der Stadtviertel durch ein vielfältiges, gut strukturiertes Angebot von Grünräumen, Parks, Sport- und Spielplätzen, Friedhöfen, Kleingärten und auch landwirtschaftlichen Flächen gehört zur unverzichtbaren Aufgabe des Städtebaus.

III Plätze, Straßen und Gebäud

19 Architektur im städtebaulichen Kontext
Urbane Architektur ist vielfältig, der Geschichte des Ortes verpflichtet und zugleich offen für Neues, stets jedoch den städtischen Kontext respektierend. Urbane Architektur fügt sich in die städtebauliche „Grammatik“ der Umgebung ein, setzt sich mit ihrer Atmosphäre auseinander und trägt zugleich zur Profilierung der Nachbarschaft insgesamt bei.

20 Parzelle als Stadtbaustein
Eine ausgewogene, dem Stadtgefüge angepasste Parzellierung privater Grundstücksflächen trägt zur städtebaulichen Ordnung und Ausdifferenzierung bei. Sie begünstigt die Nutzungsvielfalt und Flexibilität, erhöht damit den Gebrauchswert und schafft zugleich die Basis für individuelles, aber städtebaulich integrierbares Bauen.

21 Fußgängerfreundliche Straßen und Plätze
Straßen und Plätze sollten für Fußgänger, Radfahrer, Kinder, alte und behinderte Menschen sicher, bequem zu nutzen, aufenthaltsfreundlich und atmosphärisch anregend sein. Dadurch laden sie zum Gehen ein, fördern Begegnungen von Nachbarn und Besuchern sowie öffentliche Aktivitäten.

22 Gestaltung öffentlicher Räume
Die gute Gestaltung von Straßen, Plätzen und öffentlichen Grünanlagen als Orten gemeinschaftlicher Nutzung gehört zu den zentralen Aufgaben des Städtebaus. Sie leistet einen wichtigen Beitrag sowohl für den sozialen Zusammenhalt und die Bewahrung des kulturellen Erbes der Stadt als auch zur Qualifizierung eines zeitgemäßen Erscheinungsbildes und Nutzungsprofils.

23 Zugänglichkeit öffentlicher Räume
Eine einfache öffentliche Zugänglichkeit in Verbindung mit sozialer Aufmerksamkeit begünstigt die Aufenthaltsqualität, Aneignungsfähigkeit und Sicherheit öffentlicher Räume. Die unter diesen Voraussetzungen höhere Beanspruchung städtischer Plätze, Straßen, Wege und Grünanlagen erfordert eine sorgfältige und werthaltige Ausstattung und kontinuierliche Pflege, möglichst unter verantwortlicher Mitwirkung der Anlieger.

24 Öffentliche Gebäude
Öffentliche Gebäude und Einrichtungen erfordern angemessene und besondere Standorte, um die städtische Gemeinschaft und demokratische Kultur zu stärken. Ihnen gebührt eine herausgehobene Präsenz und Form, die sich wesentlich von der anderer Gebäude und Orte im Gefüge der Stadt unterscheidet.

25 Bestandspflege
Erhalt, Umbau und Umnutzung von bereits bestehenden Gebäuden nutzen vorhandene Ressourcen und bewahren die räumliche Prägung des Ortes. Sie bieten Chancen für urbane Experimente und können eine bestandsorientierte Weiterentwicklung der Stadtviertel und Ensembles fördern.

26 Gärten in der Stadt
Gärten sind ein unverzichtbarer Bestandteil des Wohn- und Arbeitsumfeldes in der kompakten Stadt. Sie sind nicht nur Objekte gestalterischen Engagements, sondern bilden auch wichtige, intensiv nutzbare soziale, ökologische und wirtschaftliche Refugien.

 27 Umweltbewusste Architektur
Auch städtische Gebäude sollen ihren Bewohnern und Nutzern eine Beziehung zur Örtlichkeit, Witterung und Jahreszeit vermitteln. Dem kommt ein selbstverständlicher Einsatz ressourcenschonender und regenerative Energien nutzender Gebäudeorganisation und -technik entgegen.