Tagung des Council for European Urbanism – Deutschland (C.E.U.) in Ludwigsburg, 7. bis 9. April 2006:
LUDWIGSBURG IN DER REGION STUTTGART – Stadtentwicklung für eine europäische Mittelstadt
Harald Bodenschatz, Harald Kegler
Die „modernste Barockstadt Deutschlands“, so das Leitbild Ludwigsburgs, bot einen großartigen Rahmen für die die dritte Jahrestagung von C.E.U.-Deutschland. Aus der Tradition europäischen Städtebaus zu lernen und zugleich eine zukunftsfähige Stadtentwicklung zu gestalten läßt sich am Beispiel der Barockstadt Ludwigsburg, einer heute mit 86.000 Einwohnern sehr großen und (noch) wachsenden Mittelstadt, modellhaft erfahren.
Im Zentrum der Veranstaltung standen die Entwicklungsfragen von Mittelstädten, ein oft vernachlässigtes Thema in der eher auf Metropolen orientierten deutschen Diskussionskultur. Der Tagungsort bot mit seiner Geschichte, den aktuellen Planungsverfahren und den gebauten Projekten einen anregenden und komplexen Hintergrund. Das Spektrum des Tagungsprogramms umfasste alle drei Ebenen der – in Ludwigsburg erstmals vorgestellten – Charta des C.E.U.: Region, Stadt und Stadtviertel, also auf eine ganzheitliche Sicht der Stadtentwicklung. Dass in der Region Stuttgart auch Institutionen mit urbanistischer Perspektive von nationaler Bedeutung ihren Standort haben, spiegelte sich auf der Tagung ebenfalls wider: Das Deutsch-Französische Institut und die Wüstenrot-Stiftung, beide mit Sitz in Ludwigsburg, sowie das Netzwerk „Die alte Stadt“ mit Sitz in Esslingen waren vertreten. Hans Schultheiß, Chefredakteur der Zeitschrift „Die alte Stadt“, erläuterte, was sich hinter der alten Stadt verbirgt: zum einen die letzte interdisziplinäre urbanistische Zeitschrift in Deutschland, vor allem aber ein Netzwerk kleiner und mittlerer Städte in Deutschland, Österreich, Schweiz und Südtirol, das sich der Erhaltung und Erneuerung der historischen Stadt verpflichtet hat. Die programmatischen Ziele dieses Netzwerks stehen denen des C.E.U. sehr nahe. Stefan Krämer von der Wüstenrot Stiftung präsentierte den vielfältigen Beitrag seiner Institution im Rahmen einer Strategie der Förderung der Städtebaukultur in Deutschland. Auch für den internationalen Blick war gesorgt – durch den Beitrag von Tim Busse, Projektarchitekt von Whittaker Homes, aus der Partnerstadt St. Charles, Missouri, USA, und durch den Beitrag von Wolfgang Neumann vom Deutsch-Französischen Institut, der sich zur städtischen Entwicklung in Frankreich äußerte, einem brisanten Thema von europäischer Bedeutung.
Gerade unter den Bedingungen der aktuellen wirtschaftlichen und demografischen Änderungen in Deutschland und Europa müssen die Städte, so die Botschaft Ludwigsburgs, ein klares, ihre Stärken betonendes Profil entwickeln, wollen sie nicht in der Anonymität globalisierter Entwicklung verblassen und den Anschluss an die Zukunft verpassen. Eine solche Profilbildung geschieht nicht per Verordnung oder durch einen Ratsbeschluss allein. Vielmehr resultiert die Zukunftsfähigkeit einer Stadt aus einem breiten öffentlichen Diskurs, der jedoch den Willen zu einer stadtentwicklungspolitischen Strategie der Verwaltungsspitze und des Rates zur unabdingbaren Voraussetzung hat. Auch hier setzt Ludwigsburg hohe Maßstäbe. Man kann es auch umgekehrt formulieren: Städte ohne entschlossene politische Führung, ohne engagierte Verwaltung und ohne aktive zivilgesellschaftliche Initiativen verabschieden sich aus dem Wettbewerb der Städte. Der in Ludwigsburg seit 2005 durchgeführte Beteiligungsprozess zur Konstituierung des Stadtentwicklungskonzeptes im Rahmen von „Zukunftswerkstätten“ und eines „Dialogsommers“, wie er eindrucksvoll von Martin Kurt, eigens mit dieser Aufgabe betrauter Mitarbeiter der Stadtverwaltung Ludwigsburg, dargestellt wurde, kann als mustergültig angesehen werden – geradezu als Modell im Sinne der C.E.U. Charta. Vgl. dazu auch www.chancen.ludwigsburg.de. Zunehmend werden nicht nur gebaute Projekte zum Gradmesser der Profilbildung einer Stadt. Auch die Kultur der Beteiligung der Öffentlichkeit – innovative und transparente Verfahren zur Einbeziehung der Stadtbürger, Offenheit gegenüber deren Anregungen – gewinnt einen hohen Stellenwert, da die Zukunftsfähigkeit einer Stadt heute weniger denn je durch die öffentliche Hand allein geschultert werden kann.
Ludwigsburg stärkt sein „barockes“, auf das 18. Jahrhundert zurückgehende Zentrum – etwa durch die fußgängerfreundliche Attraktivierung der öffentlichen Räume und eine Verbesserung der schwierigen Verbindung zwischen Stadtzentrum und Schloss, die Stadt sorgt sich aber auch um seine übrigen historischen und neuen Stadtviertel. Am Beispiel der ehemaligen Stadttorhäuser in Ludwigsburg, die unter entscheidender Mitwirkung der Wüstenrot Stiftung denkmalpflegerisch und mit Blick auf eine jeweils angemessene städtische Nutzung im Jahre 2004 saniert worden sind, konnte Stefan Krämer in seinem Beitrag verdeutlichen, welchen Stellenwert eine systematische Reaktivierung städtebaulicher Schlüsselorte für die Stadtentwicklung gerade mittlerer Städte spielt. Ludwigsburg setzt strategisch auf Innenentwicklung – auf die Konversion der überaus zahlreichen und großen historischen Kasernengelände. Julius Mihm, aktives Mitglied von C.E.U. Deutschland, inhaltliches und organisatorisches Zentrum der Tagung und Leiter des Amtes für Stadtplanung und Vermessung der Stadt Ludwigsburg, entfaltete in seinem Beitrag das die gesamte Stadtentwicklung prägende Konversionsprogramm ehemaliger Militärflächen. In Ludwigsburg wurde ein langfristiges Programm des schrittweisen Umnutzung von Kasernenarealen eingeleitet, welches diese zu attraktiven Bestandteilen der Stadt werden lässt.
Mit der Entwicklung der City-Ost wurde bereits vor mehr als 20 Jahren mit Erfolg versucht, auf alten Militärflächen ein neues Stück kompakter Stadt mit Wohnbaublöcken auf einem weiterentwickelten „barocken“ Stadtgrundriss zu bauen. Die Einrichtung und der Ausbau einer Filmakademie und der Aufbau eines Film- und Medienzentrums in ehemaligen Kasernengebäuden verweist auf die Anstrengungen, Ludwigsburg als Medienstadt zu profilieren. In den äußeren Stadtvierteln schafft Ludwigsburg – ebenfalls auf ehemaligen Kasernenarealen – neue, kompakte Wohnviertel. Bereits fertig gestellt ist das Quartier Rotbäumlesfeld für 1.400 Einwohner auf dem Gebiet der ehemaligen Krabbenlochkaserne. Auf Basis der Erfahrungen mit dem Bau dieses Quartiers wird nunmehr ein weiteres Konversionsgebiet entwickelt – auf dem Gebiet der ehemaligen, 1991 von den US-Truppen geräumten Flakkaserne aus den späten 1930er Jahren. Dort sollen der wertvolle Baumbestand geschont, einige Schlüsselgebäude erhalten und in eine neue Wohnsiedlung mit attraktiven öffentlichen Räumen integriert werden.
Der Tagungsort Luldwigsburg liegt in einer der prosperierendsten Stadtregionen Deutschlands. Mit einer Arbeitslosigkeit unter fünf Prozent und noch anhaltendem Bevölkerungswachstum zeigt sich die Region Stuttgart im nationalen und internationalen Vergleich gut platziert. Doch kann eine vorausschauende Regionalplanung nicht beim Sichern des Erreichten verharren, wie Dirk Vallee vom Regionalverband Stuttgart betonte. Vielmehr müssen die absehbaren Konsequenzen aus dem wirtschaftlichen und demografischen Wandel gezogen werden. Zum einen geht es um die Sicherung des Standortes durch eine regionale „Innenpolitik“ – die Region wird zur Stadt. Die einzelnen Kommunen werden, bei Wahrung ihrer Selbstverwaltung, Teile eines Gesamtstandortes. Der im Aufbau befindliche regionale Landschaftpark wird so etwas wie ein „Stadtpark“ auf neuer Stufenleiter. Zum anderen muss durch die Region zugleich ein „geordneter Rückzug“ aus den überflüssig werdenden Arealen, Infrastrukturen, Beständen und vor allem auch Denkweisen und Verfahren eingeleitet werden. Der stadtregionale Wandel, dessen Dimensionen eindrucksvoll von Helmut Bott, Professor an der Universität Stuttgart, in Szenarien dargestellt wurde, benötigt eine aktive stadtregionale Politik. Deren Festpunkte sind die Besonderheiten der Stadtregion, die auf ihrer Geschichte beruhen und durch neue Initiativen erweitert werden.
In einem weiteren Schritt wurden unterschiedliche strategische Planungen anderer Mittelstädte im Großraum Stuttgart vorgestellt und analysiert. Dass Ludwigsburg einen besonderen Weg eingeschlagen hat, zeigt ein Vergleich mit Stadtentwicklungsprojekten in der Region Stuttgart, die Detlef Kurth, Professor an der Hochschule für Technik in Stuttgart, analysierte und in den Kontext allgemeiner Tendenzen der Entwicklungsplanung stellte. Ein komplexes und zugleich strategisch angelegtes Vorgehen wie in Ludwigsburg ist, wie der Blick auf andere Städte zeigt, alles andere als selbstverständlich. Eine Debatte über grundsätzliche Umorientierungen, die nicht nur die schrumpfenden Regionen betrifft, scheint zwingend geboten. Die europäischen Städte, auch die Mittelstädte und die ländlich geprägten Räume, stehen vor besonderen Herausforderungen, eine neue Identität im Einklang mit ihrer Geschichte zu finden.
Die Tagung wurde durch zwei internationale Beiträge eingeleitet und abgeschlossen: durch einen fulminanten Beitrag zur aktuellen Stadtentwicklung in Fankreich und durch einen heiteren, typisch US-amerikanischen Beitrag, der einen Aspekt des New Urbanism vorstellte: den Bau von relativ kompakten und durchmischten Siedlungen an der suburbanen Peripherie.
Vor dem Hintergrund der Eskalation von sozialen Spannungen in den Banlieu der französischen Großstädte im Herbst 2005 umriss Wolfgang Neumann die komplexen Zusammenhänge dieser Stadtkonflikte. Ein wenig bekannter Umstand konnte geklärt werden: Der französische Staat hat in den letzten Jahrzehnten ein in höchstem Grade ausgefeiltes System der Planung und finanziellen Förderung für die Banlieu entwickelt, das jenes in Deutschland weit in den Schatten stellt. Dennoch sind die Konflikte in den suburbanen Problemzonen der französischen Städte kaum in den Griff zu bekommen. Die hochgradige Steuerung hat wenig nachhaltige Effekte. Es scheint so etwas wie ein Point of no return erreicht zu sein. Der Städtebau aus den 1950er und 1960er Jahren, der im Bau von Großsiedlungen gipfelte, steht grundsätzlich zur Disposition. Teilabriss, Aufwertung oder Verbesserung sozialer Betreuung helfen allein nicht mehr. Es muss ein langfristiger Prozess der radikalen Transformation eingeleitet werden, so das Fazit, dessen Ziel die Neupositionierung zu diesem Teil des Erbes der europäischen Stadt sein muss – im Interesse der Sicherung einer Überlebensfähigkeit der europäischen Stadtgesellschaft insgesamt.
Im zweiten internationalen Beitrag, der Vorstellung eines Projektes des New Urbanism aus der Partnerstadt von Ludwigsburg, St. Charles in Missouri, konnte Tim Busse zeigen, dass die Qualität des städtebaulichen Raumes zunehmend zu einem entscheidenden Standortfaktor für die Stadtentwicklung wird. Dabei spielen Bezüge zu Prinzipien der Gestaltung der europäischen Stadt eine wichtige Rolle. Auch an diesem Beispiel wurde deutlich, dass es bei Projekten des New Urbanism notwendig ist, sich nicht in erster Linie mit den für manche europäischen Augen fremden Architekturformen zu beschäftigen, sondern vor allem mit dem städtebaulichen Anliegen. Die augenscheinliche Dominanz des Städtebaus gegenüber der Architektur bezieht sich nicht nur auf die Raumbildung, etwa die Herausbildung einer sehr differenzierten Struktur öffentlicher Räume, sondern impliziert auch ein Wohnungsangebot an unterschiedlich einkommenskräftige soziale Schichten, eine regenerative Energieversorgung und eine Vermindung des Autoverkehrs. Diese Themen können, so wurde in dem Beitrag aus den USA deutlich, im transatlantischen Dialog wechselseitig präzisiert werden.
Das rege Interesse gerade jüngerer Kolleginnen und Kollegen verschiedener Professionen und Disziplinen belegt, dass die konkrete Suche nach Antworten für die Stadtentwicklung nach dem Industriezeitalter in einem Klima der Überwindung zwischenstädtischer Anonymität – ein wichtiges Anliegen des C.E.U. – an Schwung gewinnt. Für diese Suche bedarf es Foren der offenen, professionsübergreifenden Debatte. In diesem Sinne wird das europäische Netzwerk des C.E.U. auch den nächsten internationalen Kongress in Leeds, Mittelengland, vom 9. und 10. November 2006 ausrichten.