Vortrag zu UIA 2002 Berlin, XXI World Congress of Architecture Forum 4, 23. Juli 2002

Dr. Harald Kegler

Ressource Region: REGIONALPARK MITTELDEUTSCHLAND

Der Regionalpark Mitteldeutschland ist eine Gestaltungs-Vision und eine politische wie kulturelle Strategie zur regionalen Entwicklung. Dieser Ansatz steht für ähnliche Tendenzen, Herausforderungen und Handlungsoptionen regionaler Gestaltung in anderen urbanisierten oder suburbanisierten Gebieten der industrialisierten Welt, die sich im rapiden Wandel zu einer „postindustriellen“ befindet. Der Regionalpark Mitteldeutschland gewinnt zugleich seit über einem Jahr an praktische Konturen – er wird auf verschiedenen Ebenen der Region, der politischen Gremien, von Initiativen, Unternehmen und Verbänden diskutiert, zur Kenntnis genommen, mit Euphorie oder Skepsis betrachtet, ungläubig beobachtet und gleichzeitig mit konkreten Planungen und Vorhaben vorangetrieben. Er ist „im Fluss“. Er ist – so die These – konkreter Ausdruck einer „Ressource neuer Art“ für die räumliche Gestaltung.

Die planerische Vorstellung vom Regionalpark stellt jedoch nicht nur eine weitere Idee zur Gestaltung einer Stadt-Landschaft dar. Mit diesem Ansatz wird an Grundfesten der regionalen Planung gerührt. Auf europäischer Ebene der Raumordnung ist zwar in den letzten Jahren einiges in Bewegung geraten und mit dem EUREK, dem rahmen für die kontinentale Regionalentwicklung, ist ein wichtiger Schritt getan wurden, doch die räumliche Planung hinkt der rasanten Entwicklung in der Wirtschaft im globalen Kontext hinterher. Will die Region eine Ressource sein (oder werden), dann bedarf sie einer neuen Art der konzeptionellen Erschließung.

1. Das Ende der Raumordnung

Es ist unübersehbar: die Tage der alten, an hierarchischen Vorstellungen orientierten Planung, wie sie seit über 70 Jahren die Praxis regionaler und Stadtplanung dominieren sind gezählt. Ob es in Deutschland die Raumordnung ist oder ähnliche Vorstellungen in anderen Staaten der Europäischen Union, Osteuropas, Fernost oder Nordamerika – überall werden auf ganz unterschiedlicher rechtlicher Verfassung und verschiedenen Planungsstrukturen immer noch die verbreiteten Vorstellungen zur Grundlage von räumlichen Perspektiven gewählt, die davon ausgehen, dass es eine Hierarchie der Siedlungsstrukturen gibt. Doch das Gebäude wackelt. Seit Christopher Alexander vor 35 Jahren verkündete „The City is not a Tree!“ beginnt Zweifel an der stringenten Organisation des städtischen Raumes vom „Oberzentrum“ bis zum „Unterzentrum“ Platz zu greifen. Mit dem Übergang von der alles beherrschenden Industrie und ihren räumlichen Organisationsmustern in den urbanen und suburbanen Regionen zu einer „postindustriellen“ Entwicklung, in welcher nicht mehr die Industrie im herkömmlichen Sinne Raumstrukturen vorgibt, setzt die Suche nach neuen Planungsmodellen ein. Das ist seit etwa 10 Jahren intensiv der Fall. Das 1999 verabschiedete europäische Raumentwicklungskonzept EUREK hat dieser Problematik bereits in Ansätzen Rechnung getragen, indem es einen „Orientierungsrahmen für eine ausgewogene und nachhaltige Entwicklung“ umriss. Zunehmend gewinnen sogenannte informelle Planungen an Bedeutung. Die Raumordnung erweist sich als zu träge, zu weit von der Wirklichkeit einer rasant umbrechenden Entwicklung mit Schrumpfungen und Expansionen, mit neuen Medien und sozialen Verschiebungen bisher ungekannter Dimensionen entfernt. Sie hinkt der Entwicklung gnadenlos hinterher.

2. Vom linearen Planen zum Planen in chaotischen Systemen

Die Transformation heißt zunächst: Regionalentwicklungsplanung – eine etwas sanftere Form der immer noch totalen Planungsanspruch verfolgenden hierarchischen Raumordnung. Diese ist passe’! Neue Kooperationsformen zwischen dem öffentlichen und privaten Sektor verlangen nach neuen, flexiblen Planungsmodellen. Mehr noch: die postindustrielle Entwicklung, in der Globalisierung und Regionalisierung zusammenfließen als zwei Seiten ein und der selben Medaille, stellt den Übergang des Planungsdenkens von linearen Systemen (zu denen gehören z. B. die bekannten hierarchischen Planungsmodelle wie die „Satellitenstadt“/“Gartenstadt“, die „zentralen Orte“ oder „Knoten-Bänder-Strukturen“) zu den nichtlinearen Modellen dar. Fraktale sei hier das Stichwort. Nun soll nicht einer mechanischen Analogie zur Fraktaltheorie das Wort geredet werden. Doch liegt hier der Schlüssel zu einem neuen Verständnis der Planung von Regionen.

Wenn also die Region als Ressource erschlossen werden soll und nicht einfach nur durch Infrastrukturentwicklung fit gemacht werden soll für den internationalen Kapitalmarkt, dann müssen die Planungsmodelle bisherige Systeme überwinden, komplexer werden und zugleich handlungsfähiger. Ressource Region heißt somit zuerst, das alte Planungsdenken radikal zu überwinden. Das schließt eine neue Offenheit der Planung, eine neue Planungsdemokratie ein. Sie wird letztlich der Schlüssel zum Erfolg einer zukunftsfähigen Regionalentwicklung sein. Doch ist dies nicht einfach durch Deklaration und Beschlüsse erreichbar. Praktische Versuche sind notwendig. Der Regionalpark Mitteldeutschland ist ein solcher.

3. Selbstähnlichkeit statt Gleichmacherei

Natürlich sind beide Begriffe nicht als direkter Gegensatz zu verwenden – sie sind auf unterschiedlichen Ebenen angesiedelt, dennoch sind sie hilfreich für die Erklärung der neuen Planung. Die Fraktaltheorie ist erst 20 Jahre alt und hat in der jüngsten Vergangenheit in Geografie, Hydrologie, Meteorologie oder Verkehrsanalyse erfolgreiche Anwendungsfelder gefunden – alles chaotische Systeme. Planung meinte in der Vergangenheit stets, Ordnung in das Chaos bringen zu müssen – schließlich auch aus ästhetischen oder Sicherheitsgründen. Das ist weitgehend gescheitert – doch nur wenige haben dies bereits erkannt. Dieses Ordnungsdenken führte zu einer bisweilen entsetzlichen Gleichmacherei in den Städten und Landschaften. Modelle der prosperierenden Zonen in den Industriestaaten wurden und werden (!) als Analogiefälle auf andere Regionen übertragen. Die Entwicklungshilfe hat dabei in den letzten Jahren viel gelernt und korrigiert – doch die dominanten Prozesse des Exportes von Planungsvorstellungen folgt noch immer dem Grundsatz, dass ein erfolgreiches Modell exportfähig sei. Der deutsche Einigungsprozess der letzten 10 Jahre ist ein beredter Ausdruck dessen und es scheint, als ob dieser Vorgang nun in Osteuropa seine Wiederholung finden wird.

Selbstähnlichkeit geht von einem grundlegend anderen Ansatz aus: abgeleitet von natürlichen Strukturen, die chaotisch sind und sich deshalb „in Ordnung“ befinden, werden im Modell der Selbstähnlichkeit in verschiedenen Größenmaßstäben stets dieselben Grundstrukturen in der jeweils gleichen Komplexität abgebildet. Also – keine Abnahme von Vielfalt, Ausstattung, Vernetzungsgrad, sondern nur ein Dimensionsunterschied. Letztlich gleichen sich die chaotischen Strukturen aus, es setzt sich eine Balance durch. Wird sie durch Impulse gestört, kommt es zum „Ausschlagen“. Ist der Mensch der Verursacher, und das ist die vorherrschende Tendenz im der Umwelt, dann ist der Mensch, also auch der Planer gefragt, ausgleichend zu wirken. Ausgleich ist also als eine grundlegende Zielannahme für die regionale Planung, doch nicht durch lineare Einflussnahme.

Ressource Region heißt also Schaffen von Ausgleichsräumen für die gleichberechtigte, ungehinderte Entfaltung aller Kräfte. Diese stellen eine gänzlich andere Kategorie von Region dar, als sie etwa mit bislang üblichen Grenzziehungen entlang politischer oder landschaftlichen Gegebenheiten zu tun hätten.

Was heißt das nun für die regionale Planung?

Jeder Teil eines Gebietes ist gleichberechtigt, weist ähnliche Strukturen und Probleme auf, birgt ähnliche Potenziale. Damit wird eine Region nicht an eine geografische, kulturelle, politisch-administrative oder wirtschaftliche Gegebenheit angelehnt und daraus eine Entwicklungsplanung abgeleitet, sondern Regionen können – ja müssen „konstruiert“ werden. Dies leitet sich primär aus der Notwendigkeit ab, die bisherigen menschlichen Eingriffe in das chaotische System der Natur und Gesellschaft, die ein Maß erreicht haben, dass existenzielle Probleme entstanden sind, korrigiert werden müssen, wenn wir weiterhin wirtschaftliche Entwicklung vorantreiben wollen. Zum anderen ist die wirtschaftliche Vernetzung unter Marktbedingungen ein komplexes, ja chaotische System. Dem muss sich räumliche Planung anpassen und einen Beitrag zum Ausgleich liefern.

Erste Experimente in dieser Richtung liefen vornehmlich in den 90er Jahren und bestätigten diese These. Die IBA Emscher Park im Ruhrgebiet mit ihrem Credo „Projekte statt Planung“ oder das Industrielle Gartenreich in der Region Dessau-Bitterfeld-Wittenberg stehen stellvertretend für den Paradigmawechsel in der räumlichen Planung, wie er sich abzeichnet. Die neuen Strategien der Regionalisierung sind nicht mehr flächendeckend, sie überspannen administrative Grenzen, sie sind nicht mehr ordnungspolitisch sondern „milieubildend“, ihr Kern ist Kommunikation und nicht mehr Gebot und Verbot, sie sind zeitnah operierend und direkt demokratisch, ihr Ziel ist die „Balanced City“. Nicht die Verwaltung der „Zwischenstadt“ sondern die Gestaltung des regionalen Ausgleichs steht auf der Tagesordnung. Die Region wird für diesen Zweck „konstruiert“, d.h., sie wird durch den kooperativen Zusammenschluss – z. T. auf begrenzte Zeit und mit wechselnden Akteuren – und entlang gemeinsamer Hauptinteressen gebildet und planerisch bearbeitet. Sie wird also von innern her gebildet und entsteht nicht technokratisch. Nach einem Zeitraum von vielleicht 10 Jahren können sich die „Grenzen“ der Regionen wandeln. Das gehört dazu. Genauso gehört dazu, neue oder modifizierte Instrumente zu entwickeln, die geeignet sind, den Ausgleichsraum zu gestalten. Eine enge Verflechtung von verschiedenen Instrumenten der Planung, der Kommunikation, der Finanzsteuerung, der Umweltgestaltung und Wirtschaftskonzipierung ist erforderlich.

Für die räumliche Gestaltung können verschiedene Konstruktionen gewählt werden – je nach Situation variierend. Eine dieser Möglichkeiten ist der Korridor: ein definierter Streifen, der verschiedene Bruchstücke miteinander verbindet und als Ausgleichsraum definiert. Dabei sind möglichst gegensätzliche, auf Ausgleich drängende Räume miteinander in Beziehung zu setzen.

4. Charrette – „Kommunikation“ der Fraktale

Charrette ist eine Methode der direkten Planungsdemokratie. Dieses Verfahren, das mit einer Planungswerkstatt vergleichbar ist, verbindet eine radikale Öffnung der Stadt- oder Regionalplanung mit konkreter Entscheidungsfindung, die Offenheit des Planungsprozesses und ungesteuerter Beteiligung, die Setzung von Impulsen und die Integration von Unvorhersehbarem mit der politischen Entscheidungsfindung. In begrenzter Zeit wird durch eine selbstregulierte Gruppe, unter Anleitung von Fachplanern, ein Prozess in Gang gesetzt, an dessen Ende ein Planungsergebnis vorliegt, das unter den konkreten Bedingungen umsetzungsfähig ist. Die Planung läuft permanent rückkoppelnd ab und bezieht die Steakholder und Betroffene unmittelbar ein. Dieses „Chaos“, veranstaltet auf engem Raum und unter Zeitlimit hat sich als erfolgreiches Verfahren beim Umbau für die schrumpfende Stadt erwiesen. Die Charrette bildet als Verfahren die Struktur der Selbstähnlichkeit ab. Sie wird zum Schlüssel für eine Planungskultur, die sich dem chaotischen Prozess der Realität, der Nichtlinearität der Stadt- und Regionalentwicklung anpasst und zugleich steuernd im Sinne des Ausgleichs eingreift, ohne etwas „ordnend“ überzustülpen. Dennoch bleibt die Planung nicht unverbindlich. Sie gewinnt normative Kraft durch ihren hohen Beteiligungsgrad und die Integration der Entscheidungsträger. Charrette wird als Möglichkeit der unmittelbaren Planungskommunikation zunehmend der komplementäre Part zur mediengestützten Planungskultur sein.

Insgesamt befindet sich die regionale Planung, die dem Modell der Selbstähnlichkeit verpflichtet ist, noch in der Experimentierphase. Das Beispiel illustriert einen solchen Versuch:

Das Beispiel: der Regionapark Mitteldeutschland

5. Die Ausgangslage

Der Regionalpark liegt eingebettet zwischen den beiden Ballungsgebieten Leipzig/Halle und Berlin/Potsdam. Dieser Raum gehört zu den dynamischen Transformationsgebieten im Osten Deutschlands seit 1989/90: Aus einem industriellen Kerngebiet, dem einstigen mitteldeutschen Industriegebiet und „Hinterhof“ Berlins, mit Chemieindustrie, Maschinenbau und Bergbau sowie ausgedehnten Militärarealen, vor allem aber hochgradiger Umweltbelastung wurde zunächst ein ökonomisches und soziales Notstandsgebiet. Es entstand aber auch ein Raum, in den enorme Investitionen für Sanierung, Infrastruktur, Großindustrie, Stadt- und Landschaftserneuerung flossen. Nicht zuletzt sind die Städte Leipzig, Halle, Dessau oder Potsdam Orte des radikalen Wandels, der Gegensätze und der Bevölkerungs-Schrumpfung. Es sind aber auch Orte und Gebiete mit vielfältigen neuen Projekten, die z. T. zur EXPO 2000 einem Weltpublikum vorgestellt wurden.

6. Die Konstruktion und ihre Bruchstücke

Dieser Korridor, in welchem mind. zwei Mio. Menschen (ohne Berlin) leben, der etwa 150 mal 60 km misst und vier Bundesländer berührt, stellt eine ungewöhnliche Abfolge von Stadt-Landschaften dar:
– Der Südraum Leipzig ist eine der weitläufigsten und vielfältigsten Braunkohlefolgelandschaften in Deutschland. Umfangreiche Sanierungs- und Umgestaltungsarbeiten sind im Gange. Mit dem Cospudener See ist der erste neu gestaltete Tagebau einer touristischen Nutzung übergeben worden.
– Im Nordraum von Leipzig befindet sich mit der neuen Messe, dem internationalen Flughafen und zahlreichen wirtschaftlichen Ansiedlungen eines der dynamischsten Gebiete, das eine direkte Anbindung an das Leipziger und Hallenser Zentrum, aber auch an die überregionalen Verkehrstrassen – Bahn und Autobahn – zwischen Berlin/Nord- und Osteuropa sowie Süddeutschland und Süd- bzw. Westeuropa verzeichnet.
– Die urbane und suburbane Industrie- und Siedlungslandschaft zwischen Leipzig und Halle stellt einen Verdichtungsraum von europäischer Dimension dar: das große und moderne Chemie-Industriegebiet Leuna/Merseburg, alte Ortszentren und Kurstätten, Altindustrieareale, Gründerzeitgebiete, Zwischenkriegs- und Plattengroßsiedlungen – überall Erneuerungsbereiche, aber auch Verfall, sowie den jüngsten Gewerbe-, Shopping- und Siedlungsbrei endlang der Autobahnen. Es scheint eine „neue Mitte“ zwischen den Großstädten zu entstehen – ein faszinierender, aber auch amorpher Entwicklungsraum um die Zentren Leipzig und Halle, die selbst Bestandteil des Regionalparks sind.
– Diesem verdichteten Raum schließt sich nach Nordosten hin in eines der kulturhistorisch einprägsamsten und in den letzten Jahren experimentierfreudigsten Gebiete an: Die Industrie- und Bergbauareale von Wolfen/Bitterfeld/Delitzsch, das Dessau-Wörlitzer Gartenreich, die Lutherstadt Wittenberg und die Bauhausstadt Dessau, der Naturpark Dübener Heide – eine im Zentrum des Regionalparks gelegene wertvolle Natur- und Kulturlandschaft für hochwertigen Tourismus und neue Dienstleistungen. Den Kern stellt das Städtedreieck Dessau – Bitterfeld – Wittenberg, das Industrielles Gartenreich, dar. Spektakulärstes Projekt ist hierbei „Ferropolis – die Stadt aus Eisen“.
– Im Zentrum des zukünftigen Regionalparks liegt Ferropolis. Diese international bekannte Landmarke und Kunststätte sowie die einstigen Braunkohlegruben (von den Gruben südwestlich von Delitzsch über die Goitzsche, den Muldesee, Gröbern, Golpa-Nord bis Bergwitz) bilden eine vielgestaltige neue Wasser- und Kulturlandschaft. Sie wird ein Zeugnis kreativer Sanierung von durch den Menschen geschädigter Landschaften sein.
– Die Auen der Elbe und Mulde sowie Saale bilden eine Ost-West-Zäsur im gesamten Raum. Sie sind der sensibelste Bereich, der al UNESCO Biosphärenreservat ausgewiesen ist und zugleich einen der ökologisch und touristisch attraktivsten darstellt. Am Südufer der Elbe erstreckt sich das inzwischen auf die Welterbeliste gesetzte Dessau-Wörlitzer Gartenreich, die Reformlandschaft des 18. Jahrhunderts. Heute ein Mekka des Kulturtourismus. Hier findet sich aber auch eine fragmentierte Wirtschafts- und Wohnlandschaft mit großen Gestaltungsherausforderungen. Die Elbe verbindet zugleich den Raum mit anderen Regionen zwischen Hamburg und Tschechien – als ein ökologisches Refugium internationaler Bedeutung, eine Perlenkette herausragender Städte und ein mögliches Band zukunftsfähiger Wirtschaft (von umweltverträglicher Schifffahrt über Fischerei bis zum Tourismus).
– Am Nordufer der Elbe erhebt sich der Fläming, ein bewaldeter Höhenzug, dünn besiedelt, vorrangig landwirtschaftlich genutzt und von besonderem Erholungswert. Hier besteht ein weiterer Naturpark, in welchem Land- und Forstwirtschaft sowie Individualtourismus mit vielfältigen Angeboten ausgewogen miteinander verbunden werden. Beschauliche Kleinstädte prägen die Siedlungsstruktur.
– Daran schließt sich die weite Niederung des Baruther Urstromtals an, eine Ruhezone und offene Landschaft, mit besonderen gesundheitstouristischen Akzenten. Nordöstlich beginnt dann der suburbane Raum des Berliner „Speckgürtels“, eine amorphe Landschaft aus Gewerbe- und Wohnparks und vielfältigen Infrastrukturen. Darin eingebettet erstreckt sich eines der vielen militärischen Konversionsgebiete. Hier erfolgt die Anbindungen an das Einzugsgebiet der Havel.
– Mit der Potsdamer Kulturlandschaft, ebenfalls auf der Welterbeliste der UNESCO, dem attraktiven Stadtgebiet Potsdams und der Medienstadt Babelsberg findet der Regionalpark seinen nördlichen Abschluss und zugleich Mündungsbereich in die Metropole Berlin.

7. Der Planungsansatz

„Die Metropolen berühren sich …“

Diese Landschaften sind nicht schlechthin eine Abfolge von „Grünzügen“, „Abstandsarealen“ oder urbanen „Streifen“, sondern stellen einen wirtschaftlich, ökologisch und kulturhistorisch dichten Korridor dar. Dieser ist dabei auch ein Raum der Widersprüche. Er vereint historisch differenzierte Kulturlandschaften, die – zum Teil mit welthöchstem Schutzstatus versehen – eine fast einmalige Abfolge menschlicher Landschaftsüberformung repräsentieren. Sie sind in bestimmten Bereichen Experimentalgebiete für neue Landschaften und Stadtteile – nach dem Ende des Zeitalters der Ressourcenverschwendung. Der Regionalpark ist zwar mittelfristig nicht als ein Raum anzusehen, der durch großen Bevölkerungszuwachs, aber durch Dynamik in neuen Zweigen geprägt sein dürfte. Wachstum und Schrumpfung werden gleichzeitig gestaltet – ein Gleichgewicht entsteht, die Grundlage einer nachhaltigen Entwicklung.

„Balanced-City“: die Metropolen halten Abstand!

Eine „Balanced-City“ kann die Alternative zur „Zwischenstadt“, der zersiedelten suburbanen Landschaft sein. Der Regionalpark Mitteldeutschland stellt die Handlungsmöglichkeit der Akteure im Raum dar, um Eigenständigkeit mit „Globalisierung“ zu verbinden. Die Landschaft wird nicht „passfähig“ gemacht für einen anonymen Markt, sondern in ihrer kulturellen, ökologischen, wirtschaftlichen und sozialen Eigenheit gestärkt, wenn die Akteure diese Vision aufgreifen und selbst gestalten. In diesem Sinne ist der Regionalpark ein kulturelles Programm. Der Regionalpark fungiert als Rahmen für die Ausprägung einer spezifischen Qualität der einzelnen Teile. Dann kann er zu einer „Ressource“ werden.

Die metropolitanen Räume Leipzig/Halle und Berlin/Potsdam werden durch den Regionalpark Mitteldeutschland miteinander verbunden und zugleich auf Abstand gehalten. Eine Kette von anthropogenen Landschaften, in denen effektiv und mit Respekt vor den überkommen naturnahen und menschlichen Hinterlassenschaften gewirtschaftet und gestaltet wird, schafft diesen verbindenden
Abstand. Das frühere mitteldeutsche Industriegebiet erhält durch den Regionalpark eine Anbindung an Berlin und die Hauptstadt wird mit deren einstigem „Hinterhof“ in neuer, ausgewogener Weise verknüpft.

8. Planen heißt vor allem Lernen

Der Regionalpark ist zudem ein Lernort in der Landschafts- und Stadtgestaltung: ein Netzwerk der regionalen Bildungseinrichtungen mit raumrelevanten Lehrangeboten und beispielhaften Erneuerungsorte, also auch eine „Institution“, die die Entwicklung der einzelnen Städte und Landschaften regional vernetzt, Forschungen und Bildungsangebote regional koordiniert und internationale Kontakte zu anderen Regionen entfaltet. Vor allem aber die Durchführung von verschiedenen Charrette-Verfahren trägt zum Entstehen einer kreativen Atmosphäre, einem innovativen Milieu bei. Die Region lernt tatsächlich, ohne einem didaktischen Plan zu folgen. Die prädestinierten Institutionen sollen den Lernvorgang begleiten, bewerten, rückkoppeln, Grundlagen bereitstellen und fallbezogene Anleitungen geben.

Ein Labor, eine Experimentalwerkstatt für diese Art regionale Planung, und/oder eine spezielle Innovations-Agentur fungieren als Impulsgeber für das konkrete maßstabsetzende Vorhaben im bzw. für den Regionalpark. Sie sind die Vermittler dieses Lernvorganges.

Ein auf den Regionalpark bezogene Marketingstrategie vermag den einzelnen Regionen innerhalb des großen Rahmens mehr Gewicht zu verleihen und die politische Aufmerksamkeit auf das Vorhaben zu lenken. Mit dem Regionalpark vermag sich der mitteldeutsche Raum ein Gesicht zu geben, das sowohl im „Konzert“ der großen Ballungsräume Europas wahrnehmbar ist als auch Besonderheiten hervorhebt. Allein die andere Art der Planung ließe die Region wahrnehmbarer werden. Vermarktung ist Teil des Lernprozesses.

9. Der Begriff

Die Bezeichnung Mitteldeutschland bezieht sich auf die 20er Jahre. Seinerzeit wurde der Mitteldeutsche Industriebezirk als Planungs- und Wirtschaftsraum geprägt. Dieser erstreckte sich
zwischen den Städten Leipzig – Erfurt – Magdeburg – Wittenberg, mit dem Zentrum Merseburg. Heute gilt dieser Begriff als umgangssprachlich eingeführt, obwohl es Mitteldeutschland historisch nicht mehr gibt. Für den Park gilt das Gegenteil: dieser ist ein neutraler Begriff, fast beliebig, oft sinnentstellt. Er suggeriert Schönheit. Region hingegen ist ein technischer Begriff, der zwar auch einen räumlichen Bezugsrahmen herstellt, aber weniger sinnlich erscheint und stärker die rationale, wirtschaftliche und infrastrukturelle Dimension des Vorhabens umreißt.

Die Kombination der drei Begriffe steckt den Rahmen für die Planungstätigkeit ab: konkreter lokaler und historisch ableitbarer Bezug, Bild für ein ausgewogene Zukunftsentwicklung sowie Umsetzungsfähigkeit.

10. Einige Regionalprojekte im Vergleich

Der Regionalpark Mitteldeutschland ordnet sich ein in einen aktuellen Trend zur Regionalisierung wie er seit den 90er Jahren national und international festzustellen ist. Mit solchen Regionalprojekten wie der Emscher Landschafts-Park wurden neue Dimensionen der Regionalentwicklung eröffnet.
Ähnliche regionale Groß-Projekte entstanden im Raum Frankfurt/Main oder mit dem Landschaftspark Bodensee-Oberschwaben. In jüngster Zeit ist mit dem Beginn der IBA Fürst-Pückler-Land in der Lausitz ein weiteres Regionalprojekt im Entstehen, das die Erfahrungen von IBA Emscher Park und Industriellem Gartenreich aufnimmt. Im Ausland werden ebenfalls zunehmend Regionalparke als Konzepte zur integrierten Entwicklung vertreten, z. B. im Po-Delta, Italien, im Osten von London oder mit der „Regional City“ in den USA (.z.B. Portland/Origon).

Der Regionalpark Mitteldeutschland liegt also nicht nur im Trend sondern fügt durch seine ausgesprochen „europäische Ausdehnung“ und seinen inhaltlichen Ansatz diesem eine neue inhaltliche Facette hinzu: Balanced City.

11. Ein Fazit

Der Regionalpark kann als Modell für eine neue Art Ressourcendenken verstanden werden. Es geht nicht mehr nur um die eindeutig definierbaren Ressourcen der „verfügbaren“ Natur, sondern um die Art der Gestaltung und Kultur der ausgleichenden Beziehung bei der Inanspruchnahme durch den Menschen. Die Städte wie die genutzten Landschaften sind die wichtigste Ressource für eine menschenwürdige Zukunft. Nachdem die gesamte Landschaft vom Menschen überformt, ausgebeutet und neu gestaltet bzw. „hergerichtet“ wurde, müssen neue Gestaltungszusammenhänge geschaffen werden, die zugleich in der Lage sind, einem Drang zur Egalisierung und Anpassung an andere Regionen im Sinne einseitiger Effizienzsteigerung ihrer Nutzung nicht nur zu widerstehen, sondern auch etwas qualitativ anderes entgegen zu setzen, das aus dem Bestehenden erwächst. Für diese Planung und Entwicklung muss auch eine neue jenseits der administrativen Grenzen und mit Handlungskompetenz ausgestattete regionale Politik aufgebaut werden, die Kirchturmdenken überwindet und gleichzeitig lokale Selbstständigkeit bewahrt. Neue Beteiligungsverfahren (z. B. „Charrette“) sind ebenso notwendig wie veränderte Kooperationsbeziehungen der Akteure (Netzwerke). Vor allem aber ist eine auf Hierarchien basierende Raumordnung grundsätzliche zu überdenken und durch eine an Modellen der Selbstähnlichkeit orientierte rahmensetzende Raumentwicklungspolitik zu ersetzen.

Literatur
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Hönsch, F. u.a. 1986: Bürgerliche Konzeptionen der regionalen Entwicklung, Gotha
Hoffmann-Axthelm, D. 1996: Anleitung zum Stadtumbau, Frankfurt/M.
Kegler, H. 2000: Von der „Überlandplanung“ zum „innovativen Milieu“, in: et – Magazin der Regionen, 2/2000, S. 58 – 61
Kegler, H. 2001: Regionalpark Mitteldeutschland, in: et – Magazin der Regionen, 4/2001, S.45
Kegler, H. 2001: Dübener Heide – zwischen Heidemythos und neuen Landschaftsbildern, in: et – Magazin der Regionen, 3/2001, S. 31 – 35
Mandelbrot 1987: Die fraktale Geometrie der Natur, Zürich
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Wessling, Ch. 2000: Verflechtungsstrukturen im Metropolraum Berlin-Brandenburg, Cottbus

www.industrielles-gartenreich.de
www.regionalpark-mitteldeutschland.net
www.dr-kegler.de

Abbildungen
1. Schema zu den Entwicklungsstufen von Raumstrukturen und Planungsmodellen
2. Regionalpark Mitteldeutschland – Struktur der Landschaften
3. Poster zum Regionalpark Mitteldeutschland (engl.)

Anschrift:
Dr. Harald Kegler, Labor für Regionalplanung, Karl-Liebknecht-Platz 21, D-06886 Lutherstadt Wittenberg
T.: +49-340-6612368, F.: …69, E.: harald_kegler@nullyahoo.com

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