Die Wiederbelebung einer alten Landschaftsidee

Das Industrielle Gartenreich Dessau-Wittenberg-Bitterfeld

Harald Kegler

Bewertungen von Landschaften, von Städtebau und Architektur sind stets kulturellen Schwankungen in der Öffentlichkeit, d. h. von sich wandelnden Wertschätzungen in der Gesellschaft unterworfen gewesen – was heute im Zentrum der Aufmerksamkeit steht, hat vor gar nicht allzu langer ohne jede Beachtung abseits gestanden. Dies hat fundamentale Bedeutung für den Umgang mit dem baulichen und landschaftlichen Bestand, wird dieser doch zunehmend zur hauptsächlichen Aufgabe des Bauens und Gestaltens. Das Projekt Industrielles Gartenreich ist im Zentrum einer solchen Debatte angesiedelt gewesen, ja es setzte auf eine kulturelle Strategie der Neubewertung von Landschaften als Grundlage für die Gestaltung einer Region.

Die Entstehung des Projektes Industriellen Gartenreich führt in die Transformation der ostdeutschen Region in Mitteldeutschland und in die Suche nach zukunftsfähigen Konzeptionen ein: Die Idee wurde am Bauhaus Dessau 1989 geboren, hier entstanden die ersten Einzelprojekte, wie in Ferropolis, Piesteritz, Bitterfeld, in der Bergbaulandschaft oder im Bereich des historischen Gartenreichs.
Es wurden erste Institutionen angeregt und Umsetzungsstrukturen auf den Weg gebracht. Im Jahre 1994 wurde das Vorhaben als Korrespondenzstandort zur EXPO 2000 anerkannt und 1995 eine Entwicklungsgesellschaft eigens zum Zwecke der Projektumsetzung gegründet. Im Jahr 2000 konnten die meisten Projekte als „Leuchttürme“ der Öffentlichkeit präsentiert werden. Nach dem Ende der EXPO traten alle Projekte in eine neue Entwicklungsphase ein. Sie hatten und haben sich ökonomisch und kulturell zu emanzipieren. Erste neue Projekte sind im Entstehen, wie der Stadtumbau in Gräfenhainichen/Ferropolis zeigt.

Historische Grundlage – die Aufklärung nimmt Gestalt an

Zwischen 1764 und etwa 1800 entstand in der Auenlandschaft der Elbe im kleinen Fürstentum Anhalt ein auf dem damaligen Kontinent außergewöhnliches Projekt: das Gartenreich Dessau-Wörlitz. In diesen knapp 40 Jahren wurde unter der Regentschaft des aufgeklärten Fürsten Leopold Friedrich Franz III zusammen mit dem kongenialen Partner und Freund, dem Architekten Friedrich Wilhelm von Erdmannsdorff, diese Kulturlandschaft von europäischer Dimension gestaltet. Aus den Idealen der europäischen, insbesondere der französischen Aufklärung, aus der Rezeption der Antike in Italien und aus den ökonomischen Innovationen der Landwirtschaft und Frühindustrialisierung Englands schöpfend, entstand eine künstlerisch geformte Nutz- und Bildungslandschaft. Dessau-Wörlitz wurde zum Inbegriff für Fortschritt und damit eine Referenz für das sich anbahnende Zeitalter der Moderne, zu einem Mekka der Aufklärer, für Kunstfreunde, für Philanthropen, für Landwirte, für Baumeister, aber auch für Politiker und Staatsbedienstete. Das umfassend angelegte gesellschaftspolitische Reformwerk des Fürsten zog Interessierte aller Couleur an, die den Aufbruch in eine neue Zeit in Augenschein nehmen wollten. Die klassizistische Architektur Erdmannsdorffs und die gartenkünstlerischen Anlagen, die der englischen Landschaftsgestaltung verpflichtet waren, verliehen dem Reformanliegen einen spezifischen Ausdruck. Die Wörlitzer Anlagen avancierten dabei zum Inbegriff des Reformwerks. Sie wurden das „Allerheiligste“ in dem ab Ende der 90er Jahre des 18. Jahrhunderts als „Gartenreich“ bezeichneten Fürstentums Anhalt.

Die Rezeption des Gartenreichs – die Aufklärung „schlägt zurück“

Nach dem Tod der Wegbereiter des „“Gartenreichs“, Fürst Franz (1817) und Erdmannsdorff (1800), verfiel das Land in kulturelle Agonie, das begonnene Werk stagnierte; es geriet in Vergessenheit. Erst um 1900 fand es wieder Aufmerksamkeit. Die Kraft der immer noch sichtbaren Teile der einstigen „Ideallandschaft“ bewirkte die Wiederentdeckung – jedoch nicht als produktive Wirtschafts- und Bildungslandschaft, sondern als kontemplative Freizeitlandschaft für den beginnenden Tourismus. Damit vollzog sich ein Paradigmawechsel: Das Gartenreich wandelte sich von einem innovativen Gestaltungsraum für sozialkulturelle und ökonomische Ziele zu einem passiven Ort der restaurativen Pflege und Erneuerung, wobei der Gesamtzusammenhang des Gartenreichs aufgelöst wurde und vornehmlich einzelne „Parks“ Gegenstand der Rezeption wurden. Die neuen Gestaltungen verlagerten sich in die Entwicklungsbereiche der Industrie. Energiewirtschaft und Chemieindustrie wurden die neuen innovativen Motoren – das Gartenreich gerann zum Erholungsraum auf den vor der Industrialisierung geschützten Restflächen. Eine neue Rollenverteilung in der Region hatte begonnen.

Ab 1893 trat die Region an Mulde und Elbe in das Industriezeitalter ein: die elektrochemischen Werke wurden in Bitterfeld errichtet; Gründer war Walther Rathenau. Im Laufe weniger Jahrzehnte entstand eines der modernsten Industriezentren in Europa. Das erste Ganzmetallflugzeug der Junkerswerke in Dessau und der erste Farbfilm der Welt, produziert in Wolfen, stammen aus der Region. Das Bauhaus siedelte sich in dieser aufstrebenden Region des Industriezeitalters an und prägte einen bis heute wirkenden Ruf als Symbolort der Moderne. Die größten Kraftwerke wurden hier errichtet und gewaltige Braunkohletagebaue entstanden – unweit der Wörlitzer Anlagen. Eine im doppelten Sinne atemberaubende Industrialisierung prägte der gesamten Region ihren Stempel auf: Infrastrukturen, Siedlungen, Verkehrswege, Halden, Gruben, Abraum und Deponien, Kaskaden von Schornsteinen wurden zu den neuen Landmarken. Getrieben durch Kriegs- und Planwirtschaft fand ein ökonomischer Aufstieg ohnegleichen statt – der in einem ebenso dramatischen ökologischen Desaster endete. Traum und Trauma der industriellen Moderne sind auf engem Raum miteinander verwoben.

Lehren aus der Vergangenheit – ein Zukunftsansatz

Heute ist dies alles weitgehend Geschichte – die große Industrie ist zur „Industriekultur“ geworden. Eine postindustrielle Kulturlandschaft ist im Entstehen begriffen. Von einigen kleinen industriellen Neuansiedlungen in Bitterfeld abgesehen, ist die Region verglichen mit dem Stand vor dem zweiten Weltkrieg deindustrialisiert. Große Teile der Industrieareale werden zu Erholungsflächen umgestaltet, wie z. B. die ehemaligen Tagebaue. Industriedenkmale ziehen Besucher an, die vorher Wörlitz genossen haben. Die Industrielandschaft beginnt den gleichen Weg wie das Gartenreich zu gehen. Wird die Industrie wie das Gartenreich eine Museumslandschaft?

Diese beiden miteinander verwobenen Landschaften, eigentlichen deren Fragmente aus zwei Epochen kultureller Entwicklung, zeichnen die Region als eine Kulturlandschaft von europäischem Rang aus – eine Referenz der gestalteten Landschaft der Aufklärung und der urbanisierten Industrielandschaft der Moderne. Doch ist damit nur eine Dimension des Industriellen Gartenreichs, nämlich die der historischen Ablagerungen benannt. Die Frage lautet nun, wie kann auf der Basis dieses durchaus widersprüchlichen Erbes eine „dritte Landschaft“, die aus den konstituierenden Elementen „Industrie“ und „Garten“ besteht, d. h. eine ökonomisch wie kulturell lebenswerte Umwelt entstehen. Wenn diese Gestaltung der Umwelt die Erfahrungen der vergangenen 200 Jahre verarbeitet, mit diesem Erbe respektvoll aber nicht musealisierend umgeht und sich das Ziel steckt, erneut eine zeitgemäße Referenz für die Gestaltung der Lebensumwelt zu werden, dann wird Industrielles Gartenreich zugleich ein Zukunftsprojekt. Zu lernen wäre aus dem historischen Gartenreich der ganzheitliche Gestaltungsansatz, aber auch die Fähigkeit kritischer Reflexion – im Weiterdenken von Aufklärung. Das Industriezeitalter hat die Frage technologischer Lösbarkeit von Problemen einseitig beantwortet – sie gilt es erneut und unter dem Gesichtpunkt der Verantwortung angesichts der Folgen dieser Einseitigkeit zu stellen. Es gilt vor allem aber das konkrete Experiment zu wagen, nicht im akademischen Diskurs zu verharren. Dies hat das historische Bauhaus – bezogen auf die Fragen seiner Zeit – vorgemacht.

Auf beide Dimensionen, d. h. die historisch reflektierende und die lernend gestaltende, zielten die Arbeiten für das Langzeitprojekt, das in der Wende der DDR 1989/1990 am Bauhaus Dessau konzipiert und in der Folgezeit – zunächst bis 1999/2000 – mit vielen Akteuren der Region und zahlreichen externen Partner schrittweise begonnen wurde umzusetzen. Meilensteine auf diesem Wege sind die Konstituierung als zeitweilige EXPO-Korrespondenzregion und die Mitwirkung am Bundeswettbewerb „Regionen der Zukunft – auf dem Wege zu einer nachhaltigen Entwicklung“ sowie zahlreiche Einzelpreise.

Auch ohne Bezugnahme auf den konkreten historischen Zusammenhang, provoziert der Begriff „Industrielles Gartenreich“ eine neue Gestaltungsvision für die Lebensumwelt in der Industriegesellschaft. Er suggeriert den Balanceakt, den diese Gesellschaft um deren eigener Zukunftsfähigkeit willen zu vollführen in der Lage sein wird. Ein Gleichgewicht in der Ressourcenhaushaltung, im sozialen Gefüge, im globalen Nord-Süd-Verhältnis sowie im jeweiligen regionalen Beziehungsgeflecht scheint gestaltbar zu sein. Ein Begriff vermittelt, welcher Widersprüche zusammenführt und die Phantasie für Ausblicke anregt, aber auch Konflikte dabei aufnehmbar macht. Industrie und Garten – das ungleiche Paar wie es noch in der Zeit nach der industriellen Revolution mit dem „Stadt – Land – Gegensatz“ umschrieben war – erlebt eine zeitgemäße, gestaltbare Chance zur Verknüpfung.

Die postindustrielle Region – eine Konstruktion

Industrielles Gartenreich ist eine Konstruktion. Die Idee entstand als Gestaltungsprojekt auch aus einer doppelten lokalen Perspektive: Zum einen hatte vor 10 Jahren der gesellschaftliche Umbruch in der „Noch-DDR“ die Chance zu grundlegender Neuorientierung auch in der Gestaltung der durch die Industriegesellschaft geschaffenen bzw. überformten Lebensumwelt eröffnet. Das II. Internationale Walter Gropius Seminar vom 4. bis 9. November 1989 bildete das Podium für die Entstehung der Idee vom Industriellen Gartenreich. Zum zweiten gab es „vor der Haustür“ des Bauhauses prägnante Referenzen für die Widersprüche in der Entwicklung der modernen Industriegesellschaft und ihrer unmittelbaren Vorläufer: das „Gartenreich Dessau-Wörlitz“ und die industriellen Areale zwischen Bitterfeld, Dessau und Wittenberg im früheren mitteldeutschen Industriegebiet. Gerade Bitterfeld war zum Synonym geworden für eine Art Industrialismus, der die Industriegesellschaft durch die ökologischen Schäden ad absurdum führte. Dem standen die erlebbaren Reste des Gartenreichs mit seinen kultivierten Anlagen als Refugium einer „heilen Welt“ gegenüber. Doch nicht allein die sichtbaren Gegensätze konstituierten das Gestaltungsprojekt. Vielmehr ging es um die allgemeine Frage einer exemplarischen Vision für die Umweltgestaltung im Umbruch der industriellen Gesellschaft auch in anderen Teilen der Welt. Keine platte Harmonisierung, sondern die Auseinandersetzung mit den Fragen nach Fruchtbarmachen historischer „Ablagerungen“ am Ort für die Umweltgestaltung oder nach dem Verbinden von Tradition und Moderne in der Neuorientierung der Industriegesellschaft als eine postindustrielle, d. h. ohne die seit 200 Jahren entstandenen Großproduktionsstätten.

Entstehung des Projektes

Dass dies am Bauhaus geschah, gehört zu den immanenten Konstitutionsmerkmalen des Industriellen Gartenreichs. Das Bauhaus war kurz vor der „Wende“ in der DDR wiedergegründet worden und hatte einerseits gewissermaßen begrenzte „Narrenfreiheit“ und andererseits eine aus der eigenen Geschichte als Promotor und Produkt von Fortschrittsvisionen der industriellen Moderne abgeleitete Verpflichtung, neue, zeitgemäße Beiträge zur Gestaltung der Lebensumwelt zu leisten. Damit war ein Teil der Auseinandersetzung um die Fruchtbarkeit der Industriekultur für die Zukunft eingefangen. Mit konkreten Vorhaben zur „Bauhausstadt“ wurde dieses Thema angegangen. Dabei standen die Fragen nach der Rolle des Bauhauses insbesondere zum Stadtumbau und generell zur räumlichen Gestaltung als Institution exemplarisch wie grundsätzlich zur Debatte. „Bauhausstadt“ war der Auftakt des Gesamtprojektes Industrielles Gartenreich gewesen, ist doch die Industriegesellschaft eine primär urbane bzw. suburbane geworden. Die Zukunftsbeiträge werden sich also insbesondere daran zu messen haben wie es gelingt, in diesem Bereich Impulse zu setzen. Mit Stadt- und Siedlungserneuerungsprojekten im Bestand wurden Zeichen einer Revision stadtauflösender Ideen und Gestaltungspraktiken des beginnenden 20. Jahrhunderts gesetzt, deren Verfechter das historische Bauhaus gewesen ist. „Bauhaus-Stadt“ war also zuerst eine kritische Selbstreflexion der Institution Bauhaus als Einstieg in die neuen zeitgemäßen Gestaltungsarbeiten. Dass diese Themen nicht nur auf die mitteldeutsche „Provinz“ beschränkt blieben sondern sich im internationalen Diskurs bewegten, gehört zu den Selbstverständlichkeiten einer a priori internationalen Institution wie dem Bauhaus.

Mit diesem Projekt war jedoch erst der methodische Zugang zum Industriellen Gartenreich eröffnet. Den Kern der Idee bildete die zeitgemäße Interpretation des historischen Gartenreichs und der Industriefolgelandschaft als Gestaltungsaufgabe.

Grundsätzlich geht es um eine Neuinterpretation des historischen Gartenreiches Dessau-Wörlitz für die Gestaltung einer zukünftigen, der postindustriellen Stadt-Landschaft – nicht um deren platte Rekonstruktion „unter der Käseglocke“. Dabei stehen die beiden möglichen Dimensionen der Wiederbelebung der Idee und Praxis des historischen Gartenreiches im Zentrum: Analogie oder Neuinterpretation. D. h., es geht um die Zielsetzung der regionalen Entwicklung und dabei die Nutzung der kulturhistorischen Potenziale. Eine eher eindimensionale historisierende Interpretation des Gartenreiches, wie es die Verleihung des Titels „Weltkulturerbe“ 2001 in den Augen vieler Verfechter einer solchen Erbeaneignung bedeutet, also eine konservierende und auf Rekonstruktion für touristische Aneignung reduzierte „Wiederbelebung“ und damit beschönigenden Wiederherstellung einer Vergangenheit, steht deutlich im Widerspruch zu einer neuen Gestaltung der gesamten Raumes als Teil der postindustriellen Landschaft unter zeitgemäßer Weiterentwicklung des Reformansatzes des historischen Gartenreichs. In dem letzteren sah und sieht sich das Projekt Industrielle Gartenreich Dessau-Wittenberg-Bitterfeld.

Diese Auseinandersetzung ist nicht nur auf das Beispiel Dessau-Wittenberg-Bitterfeld beschränkt. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass es sich um ein Grundproblem einer Aneignung des Erbes aus Sicht der ökonomischen Überlebensfähigkeit von landschaftlich als „schön“ eingestuften Regionen nach dem Ende ihrer industriellen Hoch-Zeit handelt. Die touristische Vermarktung der vorindustriellen Hinterlassenschaften tritt in den Vordergrund; sie wird bisweilen sogar als „Rettungsanker“ gehandelt. Das Welterbe wird zum Segensbringer stilisiert und damit als „unantastbar“ erklärt, ja die „Order“ ausgegeben, dass sich die Entwicklung in der Umgebung im Sinne einer Herstellung des historischen Landschaftsbildes zu vollziehen habe. Demgegenüber wird in dem Projekt Industrielles Gartenreich von einem Modell der historischen Schichten und deren Gleichberechtigung ausgegangen. Die Industriefolgelandschaft hat dabei Mühe, sich einen ebenbürtigen Platz zu erobern als Voraussetzung für einen ganzheitlichen Gestaltungsansatz. Es geht also um eine gestaltende Interpretation der Vergangenheit und die Verbindung mit konkret machbaren Einzelprojekten, die den Umbau der gesamten Region initiieren. Der Respekt vor der Vergangenheit und die hohen Qualitätsansprüchen folgenden Gestaltungsarbeit wird dabei als selbstverständlich betrachtet. Gartenreich und Industriekultur wurden gleichberechtigte Anwälte bei der Suche nach einer neuen Zukunft – kritische „Paten“, aber nicht nach zu eifernde „Helden“.

Diese gestaltende Neuinterpretation begann Anfang/Mitte der 90er Jahre auf vier mit einander verflochtenen Ebenen:

A – der räumlichen Planung und Kommunikation (Projekte: Forum Dessau-Wörlitzer
Gartenreich; Planungswerkstatt Bitterfeld-Wolfen)
B – der baulichen Objekt-Gestaltung (Projekte: Piesteritzer Siedlung, Kolonie und Kraftwerk
Zschornewitz, Kulturpalast Bitterfeld, Drehberg im Gartenreich, Bergbaufolgelandschaft)
C – der vernetzenden Gestaltung in der Region (Projekte: Pfad der industriellen Wandlung,
Flusseinzugsgebiet Mulde, Regionalbahn)
D – der Bildung und Kulturarbeit (Projekte: Reisewerk, Schule der Gartenkunst,
Kinderwerkstatt, Neue Arbeit)

Die exemplarische Synthese für die zukunftsorientierte Gestaltung der Lebensumwelt unter konsequenter Respektierung der kulturellen Vergangenheit stellt das Projekt Ferropolis – „Die Stadt aus Eisen“ dar.

Mit den 16 Leitprojekten wurde ein Impuls geschaffen. Allen Projekten ist das Bestreben gemein, eine Balance zwischen Tradition und Modernisierung unter der Maßgabe nachhaltiger Entwicklung zu finden und ein Milieu der Bildungskultur und des Erlernens angemessener Umgangsweisen mit dem Erbe und mit den Anforderungen einer zukünftigen Entwicklung anzuregen. Inzwischen hat sich das Spektrum der Projekte erweitert, vervielfältigt und sind neue Formen der Kooperation, der wirtschaftlichen Entwicklung und Kultur- sowie Bildungsarbeit, aber auch der Planungsmethoden mit neuen Akteuren entstanden. Sie bieten einerseits die Gewähr für eine Fortentwicklung der Projekte und andererseits bilden sie die Grundlage für das Ausprägen des Referenzcharakters der Region für nachhaltige Entwicklung.

Über diese auf konkrete Umsetzung zielenden Aktivitäten in der Region erwächst der Bedarf die gewonnenen Erfahrungen zu akkumulieren, für vergleichbare Situationen anwendungsfähig aufzubereiten, mit europäischen bzw. internationalen Entwicklungen zu verknüpfen und damit zu institutionalisieren. Daraus erwuchs die Idee einer „Europäischen Akademie der Regionen“. Nach Abschluss des Wettbewerbs „Regionen der Zukunft“ soll dieses Vorhaben eingeleitet werden.

Entwicklung ohne Großereignis?

Wie geht es nach der EXPO weiter? Die EXPO 2000 hat viele Akteure in der Region zum Mitwirken mobilisiert und für regionale Belange sensibler gemacht. Private Investoren sahen eine Chance der Aufmerksamkeit für deren Mitwirkung. Dies ist zweifelsohne ein Erfolg. Das Großereignis selbst fiel in der Region eher bescheiden aus und mobilisierte weniger als erwartet. Der Prozess war wichtiger als das Ereignis selbst – vielleicht eine Zukunftslehre.

Das Kernproblem besteht gegenwärtig darin, und dabei geht es auch um die Auseinandersetzung mit dem historischen „Vorbild“ des Gartenreichs, dass eine heutige Gestaltung der nachindustriellen Landschaft nicht mehr primär als Teil einer neuen Kultivierung im Sinne der Vorbereitung für eine Verwertung der Rohstoffe, der landwirtschaftlichen oder industriellen Erträge fungieren kann. Das „Schöne mit dem Nützlichen“ zu verbinden galt für den Schöpfer des Gartenreichs als letztlich zu erstrebendes Ziel. Wenn aber heute dieses Ziel einer wirtschaftsorientierten, d. h. auf industrielles Verwertung ausgerichteten Kultivierung nicht mehr angestrebt werden kann, bleiben entweder die Dauersubvention der Landschaft als Mittel, das „Schöne“ zu schaffen oder es müssen neue Wege gesucht werden, die eine postindustrielle Landschaft gestaltbar und lebensfähig werden lassen.

Das historische Gartenreich fungierte ökonomisch als eine Art Stiftung: es entstand auf der Grundlage eines angehäuften Vermögens; die Erträge der landwirtschaftlichen Verwertung ermöglichten die Umsetzung eines langfristigen Gestaltungsaktes der Landschaft. Am Ende der Lebenszeit des Schöpfers, d. h. zu Beginn des 19. Jahrhunderts, wurden erste Konturen einer Orientierung auf die industrielle Entwicklung nach englischem Vorbild erkennbar. Das Ziel war folgerichtig – es wurde jedoch erst 100 Jahre später, und dann rasant eingelöst: es entstand das mitteldeutsche Industriegebiet auf der Grundlage von Braunkohle, Wasser und Kalisalz. Eine – in heutiger Terminologie gesprochen – high-tech-Region entstand: Karbochemie, Energiewirtschaft, Luftfahrt- und Filmindustrie und industrielle Landwirtschaft. Dieses Zeitalter ging in wenigen Jahren – in der letzten Dekade des 20. Jahrhunderts de facto zu Ende. Es erhebt sich die Frage, ob eine Neuinterpretation des historischen Gartenreichs der Aufklärung, also einer Idee des Wegbereitens der Industrialisierung, heute produktive Ansätze zu liefern vermag für die Gestaltung einer postindustriellen Stadt-Landschaft. Im Sinne mechanischer Übertragung sicher nicht. Aber auch nicht im Sinne der Huldigung als Welterbe und damit letztlich als touristischer Tageserfolg. Obgleich die Wirkung für die Region insgesamt nicht unterschätzt werden soll – immerhin wird damit der noch vorhandene graue Schleier über den ostdeutschen Regionen ein wenig gehoben. Das Produktive einer Wiederbelebung liegt im ganzheitlichen Ansatz und in der Fähigkeit, die Herausforderungen der Zeit zu erkennen und mit praktischen Vorhaben Wirklichkeit werden zu lassen.

Die Sanierung der Tagebaufolgelandschaften, der ruinierten Flußauen, der Industriebrachen und Altlastengebiete sind originäre Staatsaufgaben im Sinne der Herstellung öffentlicher Sicherheit sowie der infrastrukturellen Vorleistung für neue gewerbliche Tätigkeit. Soweit ließen sich – auf die Verhältnisse nach der Industrie – Analogien zur Ausgangssituation vor dem Beginn des Anlegens des Gartenreiches vor 200 Jahren herstellen. Doch kann es heute nicht darum gehen, eine neue Landschaft zu gestalten, die dann wieder bereit ist, verwertet zu werden – diesmal vornehmlich durch Touristen. Eine so ausgerichtete neue Kultivierung läuft letztlich ins Leere oder in die Dauersubventionsfalle. Es geht um die „Quadratur des Kreises“, d. h. es geht um eine neue Kultur schlechthin, innerhalb der existierenden kapitalistischen Verwertungsbedingungen, der vielfältigen Abhängigkeiten und Verflechtungen in große (globalen) Strukturen, aber auch in Bezug auf die ökologischen Herausforderungen eines Klimawandels. Hier endet die Analogie und beginnt die Neuinterpretation des historischen Gartenreichs als Industrielles Gartenreich. Auch wenn es um eine postindustrielle Landschaft der Zukunft geht, ist sie durchdrungen vom Industriezeitalter, das ja weltweit nicht beendet ist. Der Umgang mit dem ökologischen und sozialen Risiko spielt eine neue Rolle. Aber auch neue Dimensionen der Beteiligung von Menschen, unter den Bedingungen von „Schrumpfung“ – insbesondere in den Städten – gewinnen neue Bedeutung. Neue Finanzierungsmodelle wie Fonds und regionale Stiftungen stehen zur Debatte. Erste Schritte in diese Richtung sind eingeleitet.

Am Beispiel der Projekte in der Bergbaufolgelandschaft in der und um die Stadt Gräfenhainichen, genau im Herzen des Industriellen Gartenreichs, also um Ferropolis, werden die Konturen dieser neuen Kultur erlebbar. Ausgangspunkt ist dabei der Stadtumbau der ehemaligen Bergarbeiterstadt Gräfenhainichen, die im Rahmen des vom Bundesbauministerium ausgelobten Wettbewerbs „Stadtumbau-Ost“ für die Strategie einer solchen Neuinterpretation mit einem ersten Preis ausgezeichnet wurde. Dabei geht es um eine neue energetische Basis (nach dem Ende der Kohle) der Stadt, um eine Kultur des öffentlichen Raumes und eine Stadt-Beratungs-Demokratie (Charrette – Verfahren). Damit wird – exemplarisch – ein neues Kapitel in der Weiterentwicklung der ersten Entwicklungsphase des Industriellen Gartenreichs aus den 90er Jahren aufgeschlagen.

Vgl.: www.dr-kegler.de

Literatur

Bauhaus Dessau (Hsg.): Industrielles Gartenreich, 1996 und 1999, ex pose Verlag Berlin

Abbildungen

1. Industrielles Gartenreich, 2000, Projektplan mit einzelnen Entwürfen für die Ausstellung von Plänen und realisierten Projekten im „Art Center South Florida“ in Miami, USA, im Juni 2002.

2. Industrielles Gartenreich, 2000, Ferropolis, das Leitprojekt und Symbol für die kreative Sanierung von durch den Menschen „verbrauchter“ Landschaft und für die Neuinterpretation historisch gewordener Industriekultur.

3. Industrielles Gartenreich, denkmalgeschützte Siedlung Piesteritz (Wittenberg). Abschluss der Erneuerung, 2000.

4. Industrielles Gartenreich, 2002, Planerteam, das für die Stadt Gräfenhainichen/Ferropolis unter dem Leitbild „Stadt mit neuer Energie“ – nach dem Ende des „Braunkohlezeitalters“ – den 1. Preis beim Bundeswettbewerb „Stadtumbau-Ost“ gewann (Leitung: Dr. Harald Kegler). Dabei wurden neue experimentelle Methoden der Stadtplanung, z. B. das Verfahren der „Charrette“ angewandt.

5. „Regionalpark Mitteldeutschland“, 2001, Ausschnitt der Vision für eine europäische Region als Weiterentwicklung des Industriellen Gartenreichs als Strategie der Balance zwischen metropolitanen Räumen; im Zentrum das Experimentalgebiet um Ferropolis.

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