Ein für die europäische Diskussionskultur ungewöhnlicher Kreis verschiedener Fachgebiete und Auffassungslinien zum aktuellen Städtebau kam in der ersten Aprilwoche in ebenfalls ungewöhnlicher Weise zusammen, um den Council for European Urbanism, ein europaweites Netzwerk für den Umbau der Städte und Regionen, zu gründen. Sprachlosigkeit und Separatismus, Lagerbildung und Abschottung kennzeichnen allzu oft die Situation in den Debatten – nicht nur zum Städtebau. Und dann noch dies: Eingeladen hatte eine europäisch-amerikanische Initiative, der Eurocouncil, um zunächst eine Diskussion zum Stand der Städtebaureform und zu Projekten zu führen. 75 Vertreter aus nahezu allen westeuropäischen und wenigen osteuropäischen Ländern sowie den USA waren der Einladung zu diesem informellen Treffen gefolgt. Organisiert hatten es die belgo-amerikanische Architektin Joanna Alimanestianu und der belgische Unternehmer Christian Lassert. Symbolträchtig und mit Bedacht waren die europäische „Hauptstadt“, Brüssel, und die altehrwürdige Nachbarstadt Brügge als Begegnungsstätten ausgewählt worden.
Schillernd bot sich das Spektrum der Teilnehmer dar: Neoklassizistische Architekten aus Portugal oder Italien um den „Guru“ der Szene, Leon Krier, waren ebenso vertreten wie Planer aus der Schule des modernen Wohnungsbaus der Niederlande oder Schwedens. Institutionen wie die Princes Foundation aus London und INBAU aus Norwegen oder Developer, Soziologen, Verkehr- und Regionalplaner aus Deutschland, den USA, eine Architektin aus Bulgarien markierten das Spektrum derer, die eine Städtebaureform im sich wandelnden Europa für notwendig halten. Sicher ist es keine repräsentative Gruppierung, die da zusammenkam, und schon gar nicht war sie irgendwie legitimiert, doch die Herausforderungen, die sich aus der EU-Erweiterung, vor allem aber aus dem Wandel der Städte selbst ergeben, lassen keine andere Wahl, als dass gehandelt werden sollte. Das beflügelte die Teilnehmer, Barrieren untereinander zu überwinden und zu den wesentlichen Fragen des Umbaus der Städte in Europa vorzustoßen.
Beflügelt wurde die Debatte durch die Vertreter des amerikanischen New Urbanism, einer vor 10 Jahren entstandenen Bewegung gegen den suburban Sprawl, jener Zersiedlung und Desurbanisierung des Landes, und für eine Erneuerung der Stadtplanung. Vorbildhaft ist hierbei für die europäischen Akteure vor allem der interdisziplinäre Charakter und die konsequente Praxisorientierung. Die Ziele des CNU und die Bedingungen, unter denen in den USA eine Reform auf den Weg gebracht wurde, sind sehr verschieden, von denen Europas. Dennoch: der Charakter dieser Bewegung motiviert und hält zahlreiche Anregungen auch für Europa bereit, verbietet aber eine Kopie oder gar ein Anhängsel zu werden.
Im Zentrum der Debatte stand denn auch zunächst die vorhandene alte Stadt in Europa z.B. Hamburg– ihrer Erneuerung bzw. Rekonstruktion gilt die Aufmerksamkeit. Es zeigte sich aber bald, dass die Hauptprobleme zukünftig weiter zu fassen sein werden: die gigantischen Neubaugebiete an den Rändern der Städte, insbesondere in den mittel- und osteuropäischen Ländern, die sogenannten Plattebaugebiete, die zwischen Sheffield und Moskau das Bild der „europäischen Stadt“ prägen, deren soziale und infrastrukturellen Probleme avancierten denn auch zum „Top-Thema“ der Zusammenkunft. Die „Slab-Urbs“ sind wohl das Gegenstück zum amerikanischen Sprawl. Doch nicht nur dies gehört zum Problemkatalog, zu den Herausforderungen europäischen Städtebaus und regionaler Planung. Ein Katalog von 13 Herausforderungen fand die Zustimmung der Teilnehmer, der als Basis für eine weiterführende Debatte, ja als Einstieg in den Aufbau eines europäischen Netzwerkes für Städtebaureform gilt, auch als „Deklaration von Brügge“ bezeichnet:
1. Unzulängliche Wohngebiete: Großsiedlungen in Plattenbauweise sowie wenig verdichteter Siedlungsbrei
2. Separierte öffentliche Funktionsbereiche: Gewerbe Parks, Einkaufs- und Unterhaltungszentren „auf der grünen Wiese“
3. Zunahme an „Wegwerf-Bauten“
4. verschwindende Unterscheidbarkeit von lokaler, regionaler und nationaler Besonderheit
5. Entwertung des öffentlichen Raumes (Schaffung öffentlicher Gebiete aus baulichen „Resträumen“)
6. Autodominanz des Transportsystems
7. inakzeptable Gestaltung von Straßen und Wegen
8. unverbundene Straßennetze
9. autokratische Planung und Überregulierung
10. Verfall und Aufgabe von Dörfern und ländlichen Strukturen
11. maßstabsprengende Implantate in historischen Stadtgebieten
12. Voreingenommenheit gegenüber kontextueller Gestaltung in historischen Gebieten: Beachtung der Charta von Venedig und Krakow
13. mangelnde regionale Integration und Kooperation
Ob Neoklassizist oder Bauhaus-Verehrer, ob Developer oder Dorfgestalter, ob Stadtsoziologe oder Plattenbausanierer, in diesen Punkten fanden sie ihre gemeinsame Basis für eine strategisch anzulegende Reform. Besonders betont wurde die Offenheit des Netzwerkes für alle, die sich dem Anliegen einer Erneuerung des Städtebaus verpflichtet fühlen. Keine berufständischen Zugehörigkeiten, keine stilistischen Auffassungsunterschiede oder gesellschaftlichen Positionen bestimmen die Mitarbeit – ein ehernes Anliegen jedenfalls, das die oft festzustellenden Kommunikationsbarrieren überwindbar machen will. Gleichzeitig sollen die bereits vorliegenden Reformvorschläge und die zahlreichen Projekte partnerschaftlich betrachtet werden.
Damit konnte der Grundstein gelegt werden für den Aufbau des „Council for European Urbanism“ (CEU). Im Oktober soll in Stockholm das nächste Treffen folgen. Eine Charta und eine Projektliste, die entlang der Kriterien dieser 13 Punkte Ziele und Möglichkeiten einer Städtebaureform in Europa veranschaulichen, und damit natürlich zur Debatte aufrufen soll, sind in Arbeit. Erste nationale Netzwerke gründen sich bzw. sind in der Diskussion. Das CEU – German Network ist im Aufbau und wird sich im November in Wittenberg erstmals treffen.