Zukunftswerkstatt Städtebau und Architekturfotografie: „Radikal Radial“ − stadtentwicklungspolitische Auseinandersetzung mit den großen Straßen Berlins

Oberschöneweide: Blick vom Behrens-Turm (c) Mila Hacke

Oberschöneweide: Blick vom Behrens-Turm (c) Mila Hacke

Ein Projekt des Council for European Urbanism Deutschland e.V.

(C.E.U.D.) in Kooperation mit der Architekturfotografin Mila Hacke und dem Fachgebiet Planungs- und Architektursoziologie an der TU Berlin (Prof. Dr. Cordelia Polinna) und drei Berliner Oberschulen. Das Projekt wird gefördert von der Landeszentrale für politische Bildungsarbeit Berlin.

Das Kooperationsprojekt greift eine aktuelle stadtentwicklungspolitische und städtebauliche Fachdebatte – die Abkehr von der autogerechten Stadtentwicklung – auf und schafft im Rahmen eines Schul- und Universitätsprojektes mit öffentlichen Veranstaltungen und einer abschließenden Ausstellung eine breite öffentliche Aufmerksamkeit. Die Vermittlung des Themas: „Hauptstraßen – Vom Straßenraum zum Lebensraum“ wird anhand einer architektur-fotografischen Dokumentation der Stadt- und Straßenräume angegangen. Das Projekt ist in drei Berliner Oberschulen (Robert-Koch-, Paul-Natorp- und Gottfried-Keller-Oberschule) an die Leistungsphase Kunst sowie an Seminare im Wahlpflichtfach Architektursoziologie der TU Berlin

angebunden. Die praktische Beschäftigung (Architekturfotografie) der SchülerInnen und StudentInnen mit dem öffentlichen Raum am Beispiel der Straßen schärft die eigene Wahrnehmung und erweitert in einem integrierten Ansatz die Fähigkeiten der TeilnehmerInnen. Zum Ende des Projektes wird eine öffentliche Präsentation der Ergebnisse gezeigt: „Projektion der Stadt“.

Der C.E.U.D., das Fachgebiet Planungs- und Architektursoziologie der TU Berlin und die Initiative Think Berl!n haben schon länger am Thema der großen Radialen gearbeitet und u.a. ein Gutachten zu diesem Thema in der Planungsphase einer IBA 2020 in Berlin für die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung erarbeitet. Das Konzept „Radikal Radial“ stößt auf positive Resonanz aus Fachwelt und Politik, was zeigt, dass es der von uns geforderten Neudefinition dieser autogerechten Strukturen (Verkehrsflächen, öffentliche Räume und Gebäude) bedarf, um Berlin im Sinne der Nachhaltigkeit umzubauen.

Rathaus Steglitz Blick zum Gutshaus und Kreisel und Stadt-Autobahn-Auffahrt Schöneberg (c) Mila Hacke

Rathaus Steglitz Blick zum Gutshaus und Kreisel und Stadt-Autobahn-Auffahrt Schöneberg (c) Mila Hacke

Die Ergebnisse der Workshops sollen auf einer Webseite dokumentiert werden und somit weiterhin für eine breite Öffentlichkeit zugänglich sein. Die Fotos können aber ebenso zu anderen Gelegenheiten in der Form einer Präsentation oder einer möglichen Print Ausstellung, deren Realisierung jedoch die Einwerbung weiterer Fördermittel voraussetzt, zur Kommunikation des Themas genutzt werden.

Die Arbeit der Architektin und Architekturfotografin Mila Hacke ist von zentraler Bedeutung für das Gelingen des Projekts. So konnte sie mit bereits erstellten Fotos das breite Spektrum der Thematik visuell sehr ansprechend verdeutlichen. Sie wird zudem die Workshops an den Schulen fachkompetent anleiten und den TeilnehmerInnen der Seminare an der TU Kenntnisse der Architekturfotografie vermitteln – von der Motivauswahl, dem Bildaufbau, der Kameratechnik bis hin zur Verwendung von speziellen analogen und digitalen Großformatkameras.

Politische Arbeit

Das Thema nachhaltige Stadtentwicklung geriet in den vergangenen Monaten mit neuer Brisanz ins Blickfeld der Öffentlichkeit: Debatten über steigende Mieten, über das Wachstum der Bevölkerung, über den Klimawandel und die Energiewende sind fast täglich in den Medien präsent. Ganz besonders wichtig ist es, Jugendliche in diese Debatten einzubeziehen, denn die Stadtentwicklung bestimmt die Zukunft ihres Lebensraumes.

Ein wichtiges und in Zukunft an Bedeutung gewinnendes Thema ist der Umgang mit Mobilität. Schon jetzt zeichnet sich ab, dass das Auto als Statussymbol für Jugendliche an Bedeutung verliert. Das Fahrrad, aber auch Smartphones erfreuen sich zunehmend wachsender Beliebtheit und generieren andere Ebenen von Mobilität. Doch sind unsere Städte für eine neue Mobilität gerüstet? Große Teile der Stadt, insbesondere die Bereiche außerhalb des S-Bahnringes, sind in ihren baulichen Strukturen immer noch auf das private Automobil ausgerichtet. Im Zuge des Ausbaus der autogerechten Stadt wurden auch einige innerstädtische Verkehrsknoten gebaut, die mit einem Stadtplatz nichts mehr gemein haben. Beispiele hierfür sind der namenlose „Platz“ südlich des Steglitzer Kreisels und der Innsbrucker Platz. Beide sind Plätze, die als Übergang zwischen Hauptverkehrsstraßen und Stadtautobahn dienen. Attraktive historische Plätze wurden aufgrund der enorm aufgeweiteten Verkehrsflächen dem Auto geopfert, etwa der Bundesplatz oder der Hohenzollernplatz. Fußgängern und Radfahrern wird eine Statistenrolle zugewiesen, die Plätze sind nicht als Aufenthaltsräume gedacht.

Kurt-Schuhmacher-Damm Blick zum Platz (c) Mila Hacke

Kurt-Schuhmacher-Damm Blick zum Platz (c) Mila Hacke

Wenn man es ernst meint, dass die Radialstraßen und ihre Umgebung in den nächsten Jahren an die Erfordernisse des Klimawandels und der Energiewende angepasst werden müssen, um noch mehr Menschen die Nutzung nachhaltiger Mobilitätsformen zu ermöglichen und um Feinstaub- und Lärmbelastungen entsprechend gesetzlicher Vorgaben zu reduzieren, darf eine breite öffentliche Debatte und Aufmerksamkeit auf diese Räume nicht ausbleiben. Städtebaulich betrachtet erfordert die Mobilität von morgen den grundlegenden Umbau des öffentlichen Raumes: Vor allem die Hauptverkehrsstraßen und Hauptverkehrsplätze sind die zentralen Orte des notwendigen Wandels mit drastisch weniger Lärm und Feinstaub, mit Priorität für Straßenbahnen, Busse, Fahrradfahrer und Fußgänger.

Von besonderer Bedeutung ist es, mit Jugendlichen (SchülerInnen und StudentInnen) die Rolle und den Platz, den das Automobil in der Stadtentwicklung der vergangenen 50 Jahre gespielt hat, zu analysieren und zu überprüfen, denn sie sind die zukünftigen Nutzer und Gestalter der Städte. Die TeilnehmerInnen des Workshops sollen dazu angeregt werden, sich kritisch mit historischen und aktuellen Leitbildern der Stadtentwicklung („autogerechte Stadt“, „nachhaltige Stadt“, „kompakte Stadt der kurzen Wege“ etc.) auseinanderzusetzen und diese zu hinterfragen. Zudem sollen sie die Möglichkeit erhalten, daraus resultierende Fragen mit PolitikerInnen verschiedener im Berliner Abgeordnetenhaus vertretenen Parteien zu diskutieren. Die SchülerInnen sollen im Verlauf des Projektes die folgenden Fragen reflektieren: In welcher Rolle sehe und nutze ich die Straße, den Straßenraum und die Gebäude? Was bedeutet es für Fußgänger und Radfahrer, wenn öffentliche Räume von Autos genutzt werden? Wie könnten öffentliche Räume für Fußgänger und Radfahrer besser und sicherer nutzbar sein? Was sind die Qualitäten autogerechter Räume, wo liegen die Probleme?

Die fotografische Dokumentation mit dem Schwerpunkt Architekturfotografie dient als Basis und Erkenntnis des Erlebens und Darstellens des Straßenraumes für die Schüler. Diese lernen durch die künstlerische Auseinandersetzung das Thema Städtebau und Stadtentwicklungspolitik kennen. In der Abschlussveranstaltung mit Präsentation, Vorträgen und Diskussion geht es darum, wie in demokratischen Formen Fragen des zukünftigen Städtebaus im Kontext von wirtschaftlichen und Bürgerinteressen erörtert und entschieden werden können. Wie kann der Abschied von der autogerechten Stadt so gestaltet werden, dass wertvolle Zeugnisse des Städtebaus dieser Zeit  erhalten, gleichzeitig aber die  verkehrsinfrastrukturellen Erfordernisse im Sinne einer verträglichen Mobilität erfüllt werden?

Bürgerschaftliches Engagement zeigt sich vor allem in städtebaulichen Belangen, dort, wo Bürger direkt betroffen sind. In der eigenen Nachbarschaft gibt es bei vielen Berlinern und Berlinerinnen eine Bereitschaft zu ehrenamtlichen Tätigkeiten, zu kulturellem und sozialem Bürgerengagement. Unser Ziel ist es, das politische Interesse an zukunftsorientierter Stadtentwicklung und offener Diskussion zu Stadt und Mobilität über den Tellerrand des Kiezes hinaus in der Bevölkerung zu fördern.

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